Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 39 Der Gemeindevorstand. 153 
  
kaiserliche, vom Statthalter zu vollziehende Verordnung (8 74 Gemeindeordnung), in 
anderen, weniger wichtigen Fällen die Genehmigung des Bezirkspräsidenten erforderlich 
(§ 75 Abs. 1 zit.), einerlei, ob es sich um große oder kleine Gemeinden handelt, und 
schließlich kommt auch die ordentliche Aussichtsbehörde in gewissen Fällen in Frage 
(§ 75 Abs. 2 zit.). In kleinen Gemeinden ist in einer ganzen Reihe von Fällen 
(Budget, Errichtung ständiger Gemeindeämter) die Genehmigung des Kreisdirektors 
notwendig (§ 76). 
Die zur Genehmigung berufene Behörde kann indes nur die 
Genehmigung erteilen oder verweigern, dagegen grundsätzlich nicht die 
Gemeinderatsbeschlüsse abändern, ergänzen oder sogar Entscheidungen treffen, welche 
nicht Gegenstand der Beschlußfassung des Gemeinderats waren?7. 
Die Genehmigung ist ein freier Verwaltungsakt und kann daher, einmal erteilt, 
auch wieder zurückgenommen werden, unbeschadet der Wahrung wohlerworbener Rechte 
Dritter. Auch der Gemeinderat kann auf die Durchführung des genehmigten Beschlusses 
verzichten 28, es sei denn, daß die Genehmigung zugleich eine Annahmeerklärung enthält. 
2. In Gemeindeangelegenheiten besteht eine ausgedehnte Zuständigkeit der Ver- 
waltungsgerichte (Bezirksrat, Kaiserlicher Rat); insbesondere sind dieselben zuständig 
für alle Streitigkeiten über die Gültigkeit von Gemeinderatswahlen, ferner über Ge- 
meindenutzungen, soweit die hierher gehörigen Ansprüche nicht auf privatrechtlichem 
Titel beruhen. Alle Klageanträge und Einsprüche sind bei der Aufsichtsbehörde ein- 
zureichen und von dieser an den Bezirksrat abzugeben, indessen bleiben die Fristen auch 
durch direkte Einreichung beim Bezirksrat gewahrt, weil es sich bezüglich der vorherigen 
Einreichung bei der Aufsichtsbehörde lediglich um eine Formvorschrift handelt 25. 
Zweites Kapitel. Die Organisation der Gemeinde. 
§ 39. Der Gemeindevorstand. Die Vertretung der Gemeinde besteht aus 
dem Bürgermeister, dem ein oder mehrere Beigeordnete beigegeben sind, und dem Ge- 
meinderat. Die Funktionen zwischen diesen Organen sind in der Weise getrennt, daß 
dem Gemeinderat die Beratung und Beschlußfassung, dem Bürgermeister oder 
seinem Stellvertreter die Ausführung zugewiesen ist 1. 
I. Der Bürgermeister? und die Beigeordneten bilden nach einer hergebrachten 
Unterscheidung des französischen Verwaltungsrechts im Gegensatz zu den Gemeinde- 
beamten den Gemeindevorstand; diese besondere Bezeichnung darf aber über ihre Be- 
amtenstellung gegenüber der Gemeinde nicht täuschen. Außerdem ist aber der Bürger- 
meister zugleich Träger staatlicher Aufträge als Glied der Behördenordnung ? (O. Mayer 
S. 60, 446); in letzterer Eigenschaft, also soweit er Geschäfte der allgemeinen Landes-, 
der Bezirks= und Kreisverwaltung besorgt, nimmt er eine besondere Organstellung ein, 
auf die die Grundsätze des Beamtengesetzes keine Anwendung finden; in der Eigen- 
schaft als Gemeindevorstand ist der Bürgermeister dagegen Gemeindebeamter, wenn 
auch sein dienstliches Verhältnis abweichend von demjenigen der anderen Gemeinde- 
beamten geregelt ist. Diese Doppelstellung des Bürgermeisters als Vertreter der Ge- 
meinde als Selbstverwaltungskörper und als Organ der Staatsgewalt erweist sich für 
die ganzen noch folgenden Ausführungen wichtig. Wegen dieser Doppelstellung hat 
sich insbesondere auch der Staat das Ernennungsrecht der Bürgermeister vorbehalten. 
:7 Eine Ausnahme gilt nur bezüglich der Zwangsetatisierung (§ 78 Gem.O.), des Oktrois 
(§ 74), der zwangsweisen Auferlegung von Fronen und des Verkaufs von Privateigentum der Ge- 
meinden zum Zweck der Zwangsvollstreckung (§ 77). 
4#8 Durch einen neuen Beschluß. Staatsr. E. v. 3. Dez. 1864 D.P. 65. 3. 44; Dufour IV 
S. 94: Leoni-Mandel S. 72 Note 4. 
79 Leoni-Mandel S. 72 Note 10. 
[§ 391 1 Es entspricht dies genau der bereits durch Gesetz v. 28. Pluv. VIII getroffenen Einteilung 
in delibération und exécution. Z 
2 8 Riphebn, Die rechtliche Natur der Bürgermeisterstellung in E.-L. Straßb. Diss. 1909. 
2 Der elsaß-lothr. Bürgermeister ist jedenfalls eine Behörde im Sinne des R. Str. G. B. Vgl. 
O.L.G. (Strafsen) Colmar v. 28. April 1908, Elf.-l. Z. 1908 S. 210.
	        
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