§2 Die Abtretung des Landes und seine staatsrechtliche Vereinigung mit dem Deutschen Reiche. 5
1871 als Tag der Abtretung Elsaß-Lothringens angenommen worden", und in einem
Urteil des Kassationshofs zu Paris vom 12. August 1871 ist sogar die Meinung ver-
treten, daß erst am 20. Mai 1871, dem Tage der Ratifizierung des endgültigen
Friedensvertrages, die Trennung Elsaß-Lothringens von Frankreich erfolgt sei 5. Dieses.
letztere Urteil ignoriert also unzulässigerweise die Existenz des Präliminarfriedens, der
einen selbständigen Vertrag mit selbständigen Rechtswirkungen und nicht etwa bloß
einen Vorvertrag darstellt. Die Unrichtigkeit dieser Anschauung wird bewiesen durch
Art. 11 des Schlußprotokolls zur Zusatzkonvention vom 11. Dezember 1871; hier heißt
es nämlich: „Die deutsche Regierung wird der französischen den von letzterer seit dem
Abschluß des Präliminarfriedens von Versailles vorschußweise bezahlten Betrag der
nach Art. 2 der Zusatzkonvention auf das Deutsche Reich übergegangenen Pensionen
im Verhältnis der seit dem 2. März 1871 verstrichenen Zeit erstatten 6."“
Durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 (R.G.Bl. S. 223)7
wurden schließlich die in den Friedenspräliminarien von Versailles bestätigten Gebiets-
abtretungen bestätigt s.
II. Durch die Versailler Friedenspräliminarien und den Frankfurter Friedens-
vertrag war Elsaß-Lothringen zwar Objekt der Herrschaft des Reiches, aber noch nicht
Bestandteil des Reiches im staatsrechtlichen Sinne geworden. Das Ver-
hältnis war also ähnlich demjenigen, in welchem jetzt die Schutzgebiete zum Deutschen
Reiche stehen. Um auch staatsrechtlich dem Deutschen Reiche einverleibt zu werden,
bedurfte es eines Aktes der Reichsgesetzgebung. Das Reichsgesetz vom 9. Juni 1871
(R.G. Bl. S. 212) über die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen
Reich trat am 28. Juni 1871 in Kraft?; es ist dies der Tag, an dem das Gesetz,
—.
keit und die hypothekarischen Eintragungen der 20. März 1871 als Normaltag (Art. 3 und 7 der
Zusatzkonvention v. 11. Dez. 1871).
* Die gleiche Meinung vertritt auch v. Richthofen (Annal. 1874 S. 539) unter miß-
verständlicher Auslegung des § 1 Ges. v. 9. Juni 1871.
5 Loening S. 182, Laband a. a O S. 200. " Vorning S. 183.
7 Genehmigt von der französischen Nationalversammlung am 18. Mai 1871; die Ratifikationen
sind am 20. Mai 1871 (R.G Bl. 1871 S. 240) ausgetauscht worden.
s In Art. 1 und in dem Zusatzartikel 3 wurde ein Gebietsaustausch bei Belfort und bei
Diedenhofen vereinbart; es wurden nämlich die Kantone Belfort, Delle und Giromagny sowie der
westliche Teil des Kantons Fontaine, im Zusatzartitel 3 außerdem noch zwanzig Düer an Frank-
reich abgetreten, wogegen dieses in eine Verlegung der Grenze in den Kantonen Diedenhofen und
Kattenhofen einwilligte. (Leoni S. 3 N. 4.) Schließlich wurden in der zusätzlichen Ubereinkunft
v. 12. Okt. 1871 (R.G. Bl. 365) die Gemeinden Raon-les-Leaux und Naon- ur-Plaige ausschließlich
der dem Staat gehörigen Grundstücke und des von diesen eingeschlossenen Gemeinde= und Privat-
eigentums und die Gemeinde Igney und ein Teil der Gemeinde Avricouxt einschließlich der Bahnen
an Frankreich abgetreten. Die Grenzregulierung fand statt durch die Ubereinkunft der internatio-
nalen Grenzregulierungskommission v. 24.—27. Aug. 1872 (Ges. Bl. f. E.-L. 1873 S. 283) u. v.
28.—71. Aug. 1872 (Ges. Bl. 1873 S. 287). Die Grenzregulierungskommission hat ihre Arbeiten
im Juni 1871 begonnen und im Frühjahr 1877 beendigt. Der Austausch der Ratifikationen des
Grenzprozesses ist in Metz am 31. Mai 1877 erfolgt. Vgl. den Abdruck mit sämtl. Anl. in der
Gemeindezeitung f. E.-L. 1877 Nr. 16 f. Statist. Handb. f. E.-L. 1902 S. 8.
Das 1 wurde auch in dem eigens geschaffenen Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen unter
dem Datum v. 5. Juli 1871 publiziert, ferner war es am 2. Juli in der Straßb. Ztg. und in den
Amtl. Nachr. bekanntgemacht worden. Die Publikation im Gesetzblatt f. E.-L. ist im staatsrecht-
lichen Sinne bedeutungslos, da der Vorgang der Vereinigung zweier Ländergebiete notwendig
ein einheitlicher sein muß (vgl. Rosenberg, Territorium, Schubgebiet und Reichsland, Annal.
1903 S. 664) und mithin nur der Publikationsakt maßgebend sein kann, der von dem „herrschenden“
Staatsgebiet gegenüber dem bloßen Objekt“ vorgenommen worden ist, mithin der 29. Juni 1871. Die
NRichtigkeit diches Ansicht wird auch dadurch bestätigt, daß das Gesetz v. 3. Juli 1871, welches die Heraus-
gabe eines Gesetzblattes für Elsaß-Lothringen anordnet, auf dem Gesetz v. 9. Juni 171 beruht, und mithin
nicht umgekehrt die verbindliche Kraft dee Gesetzes v. 9. Juni 1871 aus dem Gesetz v. 3. Juli 1871
abgeleitet werden kann. (Rosenberg in Annal. 1899 S. 387, Bruck I S. 9.) Unverständlich
aber ist es, wenn Bruck (a. a. O.) im Anschluß an Rosenberg sagt, die Verkündigung im Reichs-
gesetzblatt sei (wenigstens für Elsaß-Lothringen) wirkungslos gewesen, da die R.V in E.-L. damals
noch keine Geltung hatte. War das Reichsland um die angegebene Zeit wirklich Objekt des Reiches,
so mußte die Ver ündung des Reichswillens im Reichsgesetzblait selbstverständlich auch Wirkung für
das Reichsland als Objekt haben; daß neben der Publikation im Reichsgesetzblatt auch eine solche in
den Amtlichen Nachrichten erfolgte, geschah nur aus Zweckmäßigkeitserwägungen im Interesse einer
besseren Bekanntmachung. Auch hier kann nur wieder auf die deutschen Kolonien als Parallele