Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

6 Erster Teil. Die Entwicklungsgeschichte der reichsländischen Verfassung. 82 
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nach Ausgabe der betreffenden Nummer des Reichsgesetzblatts in Berlin (14. Juni 
1871), im Reichsgebiet Rechtskraft erlangt hatte. 
Elsaß-Lothringen wurde so durch § 1 des Gesetzes vom 9. Juni 1871, da die 
Wahl anderer Wege aus politischen Gründen nicht geboten schien, „unmittelbares 
Reichsland“ 10, und zwar zum erstenmal ein „kommunales Ganzes“ 11; bei der 
Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Reich waren Regierung und Reichstag 
darüber völlig einverstanden, daß das Reichsland nicht den rechtlichen Charakter eines 
Staates erhalten sollte 12. Dies kommt in § 3 des Vereinigungsgesetzes dadurch 
zum Ausdruck, daß es heißt: „Die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen übt der Kaiser 
aus.“ Hiernach wurde also der Kaiser nicht Landesherr von Elsaß-Lothringen, sondern 
nur Organ der dem Reich zustehenden staatlichen Hoheitsrechte. Der Umstand, daß 
nach § 4 des Gesetzes die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers zu ihrer Gültig- 
keit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, also eines Reichsorgans bedürfen, beweist 
ebenfalls, daß das Reich die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübt 12. Auch im 
übrigen wurden nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes vom 9. Juni 
1871 Reichsorgane gleichzeitig auch für die Verwaltung des Reichslandes bestellt, so 
das Reichsoberhandelsgericht als Kassationshof und der Rechnungshof des Deutschen 
Reiches für die Rechnungskontrolle des Landes. Die Organisation des Reiches war 
eben, wie Laband treffend sagt, zugleich die Organisation des Reichslandes 18. 
III. Nach § 2 des Vereinigungsgesetzes sollte die Verfassung des Deutschen 
Reiches in E.-L. am 1. Januar 1873 in Wirksamkeit treten. Durch Reichsgesetz 
vom 20. Juni 1872 (R.G.Bl. S. 208) wurde dieser Termin auf den 1. Januar 1874 
verlegt 1. Der Grund für das Hinausschieben des Inkrafttretens der R.V. in Elsaß- 
Lothringen lag in der noch nicht genügend geklärten innerpolitischen Lage des Landes 15. 
Solange die R.V. in Elsaß-Lothringen nicht eingeführt war, mußte der Weg 
der Gesetzgebung besonders geregelt werden. Dies geschah durch § 3 des Ver- 
einigungsgesetzes. Da der Kaiser nach dem genannten Paragraphen die Staatsgewalt 
ausübte, hatte er an sich auch die Befugnis, Gesetze zu erlassen; hierbei war er jedoch 
an die Zustimmung des Bundesrats gebunden, während der Reichsta ausgeschaltet 
war. Nur, wenn es sich um die Aufnahme von Anleihen oder die Ubernahme von 
Garantien für E.-L. handelte, durch welche irgendeine Belastung des Reiches herbei- 
  
  
verwiesen werden: Wird ein die Rechtsverhältnisse der Kolonien betreffendes Reichsgesetz verkündet, 
so ist zweifelsohne die Verkündigung, im Reichsgesetzblatt für die Kolonien als Objekt des Reiches 
ohne weiteres wirksam, d. h. ohne daß es überhaupt einer nochmaligen Publikation in etwa be- 
stehenden besonderen Amtsblättern der Kolonie bedürfte. 
10 Bgl. die Mot. in Hirths Annal. 1871 S. 848. 
11 R.G.E. Str. 17 S. 336. Zwischen den einzelnen Teilen bestand zwar vor ihrer Abtretung 
durch Frankreich auch ein staatlicher Zusammenhang, aber nur auf Grund ihrer gleichmäßigen Zu- 
gehörigkeit zum franfösischen Einheitsstaat. Mit der Trennung von diesem war es eigentlich nur 
die tatsächliche Gewalt des Siegers, welche die verschiedenartigen Teile verband. E.-L. war weder 
unter gbanesüter Herrschaft noch während seiner Zugehörigkeit zum alten deutschen Reich ein Staat. 
(Abw. Ans. früher Rosen berg, Die staatsrechtliche Stellung E.-L. s, S. 35.) 
12 Das Reichskanzleramt nahm in seiner Abteilung III die Stellung einer obersten Ver- 
waltungsbehörde für das Land ein; die Abt. III hatte aber nicht den Charakter einer selbständigen 
Behörde. (And. Ans. Zorn, Staatsrecht, S. 525.) 
18 Das Amt des Generalgouverneurs blieb bis zum 5. Sept. 1871 bestehen, indes 
wurde die Machtstellung des Gouverneurs durch das Vereinigungsgesetz erheblich eingeschränkt; er 
wurde ein bloßes Verwaltungsorgan, das direkt unter Reichskanzler und Kaiser stand und von deren 
Weisungen abhing. Namentlich war ihm für die Zukunft jede Abänderung des Landesrechts entzogen. 
14 Nur der Art. 3 R.V., der das gemeinsame Indigenat für das ganze Deutsche Reich aus- 
spricht, erlangte sofortige Gültigkeit. 
15 Durch § 2 des Vereinigungsgesetzes war jedoch vorgesehen, daß durch Verordnung des 
Kaisers mit Zustimmung des Bundesrats einzelne Teile der Verfassung schon früher eingeführt 
werden können. Von dieser Befugnis ist auch Gebrauch gemacht worden; so wurden die Art. 38, 
42—47, 48, 52 schon vom 1. Jan. 1872 ab, Art. 57—.59, 61, 63—65 vom 14. Febr. 1372 ab in 
Elsaß-Lothringen eingeführt. Ges. Bl. 1871 S. 37, 347, 371: 1872 S. 83. Die genannten Artikel 
betreffen das Post-, Telegraphen-, das Neschstriegs. das Eisenbahn= und das Zollwesen. Insbesondere 
ist durch die Einführung des Art. 33 E.-L. in die zwischen den Staaten des deutschen Zollgebietes 
und anderen „Staaten abgeschlossenen Verträge eingetreten. (Erlaß des Reichskanzleramts vom 
3. Jan. .)
	        
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