Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 54 Die Polizei der Volksbewegungen. Belagerungszustand. 200 
Dritter Abschnitt. Die Sicherheitspolizei. 
§ 54. Die Polizei der Volksbewegungen. Belagerungszustand. Die 
Aufgabe der Sicherheitspolizei besteht, wie bereits hervorgehoben, darin, den Staat und 
seine Bürger vor Gefahren zu bewahren. Sie wird eingeteilt in die höhere und 
die niedere Sicherheitspolizei 1. Die erstere, auch allgemeine Sicherheitspolizei ge- 
nannt, bezweckt die Beseitigung von Gefahren, die von Volksmassen einer Mehrheit von 
Personen drohen (Polizei der Volksbewegungen); es gehört hierher die Vereins-, Ver- 
sammlungs-, Preß= und Theaterpolizei. Die niedere oder Einzelsicherheitspolizei will 
den einzelnen Staatsbürger vor Gefahren schützen; sie umfaßt die Vorschriften über 
das Verbot des Waffentragens, die Melde= und Paßpflicht und sonstige Beschränkungen 
der Bewegungsfreiheit. 
I. Polizei der Volksbewegungen. Bildet sich auf öffentlichen Straßen 
oder Plätzen eine Menschenansammlung (attroupement) 5, so kann die Polizeibehörde, 
um die dadurch entstehenden unbestimmten Gefahren für die öffentliche Ordnung ab- 
zuwenden, mitden ihr zu Gebote stehenden eigenen Kräften die Ansammlung 
zerstreuen". Reicht das polizeiliche Aufgebot nicht aus, um diesen Erfolg durchzusetzen, 
und muß die Unterstützung der bewaffneten Macht nachgesucht werden, so kommt das 
Gesetz vom 18. März 1872, betreffend den Waffengebrauch des Militärs im Friedens- 
dienste, zur Anwendung. 
Das polizeiliche Einschreiten findet weiter statt gegen jede bewaffnetes 
halten. Ist also eine Behörde für die Erlassung einer Polizeiverordnung nicht zuständig oder über- 
schreitet sie die gesetzlich ihr zugewiesene Delegation, oder steht die Verordung mit Gesetzen überhaupt 
im Widerspruch, so kann sie verbindliche Kraft nicht beanspruchen. Das Gericht, und zwar das 
ordentliche wie das Verwaltungsgericht, haben dann der Verordnung gegenüber ein Prüifungsrecht, 
das sich jedoch nur auf die Rechtsgültigkeit, nicht auf die Zweckmäßigkeit der Verordnung erstrecken 
darf. Der Grundsatz von der Trennung der Gewalten steht dem nicht entgegen. Das richterliche 
Erühungsrach erstreckt sich im einzelnen auf die Kompetenz zum Erlaß der Verordnung, auf die 
inhaltung der Delegation, auf die Übereinstimmung mit den Glse iu und Verordnungen höherer 
Behörden, auf die ordnungsgemäße Publikation (die Verkündigungsbescheinigung braucht dem Richter 
nicht zu genügen), dagegen nicht auf das dem Erlaß der Verordnung vorausgegangene formelle 
Verfahren. So z. B. ob der Gemeinderat zugestimmt hat. Els.-l. Z. 24 S. 506. Bgl. auch K.GG. 
v. 18. Febr. 1889 in Goltd. A. 39 S. 240. Die Prüfung des Richters hat aber nur Bedeutung 
für den konkreten Fall; er kann die Anwendung der Polizeiverordnung auf den vorliegenden Fall 
versagen, dagegen nicht dieselbe allgemein für ungültig erklären oder aufheben. Els.-I. Z. 24 S. 506. 
Bucreec. Droit administratif, (6. A.) 1 Nr. 651. Vgl. auch O. L.G. Colmar v. 5. Dez. 1905, 
Els.-I. Z. 31 S. 387, ferner ebenda S. 200; Jellinek, Geset und Verordnung, S. 406 f.: Kahn 
in Annal. 1907 S. 481 f., 597 f. 
:/ Min. Verf. v. 19. Dez. 1887 Ziff. II. Die Verkündigungsbescheinigungen werden von den 
Kreisdirektoren (Polizeidirektoren) gesammelt und dem Bezirkspräfidenten übersandt. 
6· 5 Police relative à la süreté générale de Il’état und p. rel. à la protection et à la 
süreté des personnes. Leoni-Mandel S. 116. 
2 Die Auslegung, daß die öffentliche Sicherheit Rleichbedeutend sei mit der Sicherheit des 
einzelnen an öffeatlichen Orten, ist nicht zutreffend. O. Mayer, Franz. V.N., S. 177; Leoni- 
Mandel S. 116. Verordnungen zum Schuftz der öffentlichen Sicherheit kommen allerdings selten 
in Frage, da hier das Gesetz bereits die erforderlichen Bestimmungen aufstellt. Vgl. O.L.G. Colmar 
v. 29. Sept. 1890 in Els.-I. 3. 15 S. 510. 
3 Dieser Begriff deckt sich etwa mit dem „Auflauf“ des § 116 Str.G.B. Es genügt in beiden 
Fällen die nicht von vornherein beabsichtigte Ansammlung; die Zusammenrottung dagegen setzt 
eine bewußte Verbindung der zu gemeinf 122 Handeln Entschlossenen voraus. Z 
Bei dem bloßen „ Auflauf“ wird den Versammelten erst durch die seitens der Polizei erlassene 
Aufforderung, auseinanderzugehen, zum Bewußtsein gebracht, daß sie sich eines polizeiwidrigen, 
allenfalls auch strafbaren Verhaltens schuldig machen. Leoni-Mandel S. 117. « 
Ges. v. 7. Juni 1848 über die Aufläufe. Die Strafbarkeit der Teilnehmer an einer solchen 
Ansammlung bestimmt sich nach dem 6. u. 7. Abschnitt des Str. G. B. 8§ 115, 116, 124, 125, 127. 
Die bloße Teilnahme an einer Ansammlung, auch wenn sie eine Zusammenrottung darstellt, ist nicht 
strafbar; es müssen noch die besonderen qualifizierenden Momente der vorbezeichneten Paragraphen 
des Str.G.B. hinzukommen. 
5 Bewaffnet ist eine Ansammlung (attroupement), wenn dabei mehrere Personen offene 
oder verborgene Waffen tragen, oder, wenn zwar nur eine Person offene Waffen trägt, dieselbe aber 
von den übrigen Personen nicht sofort entfernt wird. Art. 2 Ges. v. 7. Juni 1848. 
Fischbac, olsaß-Lothringen. 14 
 
	        
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