8 56 Die Presse. * 219
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IV. Verantwortlichkeit für die durch die Presse begangenen
strafbaren Handlungen. Nach § 20 I Preßgesetz bestimmt sich die Verant-
wortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift
begründet wird, nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen. Ist die Druckschrift
eine periodische, so soll der verantwortliche Redakteur als Täter bestraft werden, wenn
nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Täterschaft ausgeschlossen wird
(§ 20 II). Ob diese durch Landesgesetz eingeführte gesetzliche Präsumtion im Ver-
hältnis zum Reichsrecht überhaupt Gültigkeit beanspruchen kann, erscheint nach dem
eingangs dieses Paragraphen Gesagten mehr als zweifelhaft. Das gleiche gilt aber
auch von der weiteren Präsumtion des § 21: Begründet der Inhalt einer Druckschrift
den Tatbestand einer strafbaren Handlung, so sind der verantwortliche Redakteur, der
Verleger, der Drucker, derjenige, der die Druckschrift gewerbsmäßig vertrieben oder
sonst öffentlich verbreitet hat (Verbreiter), soweit sie nicht nach § 20 als Täter oder
Teilnehmer zu bestrafen sind, wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafen usw. zu belegen,
wenn sie nicht die Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt oder Umstände nachweisen,
welche diese Anwendung unmöglich gemacht haben.
Im Hinblick darauf, daß es sich bei den Bestimmnungen des § 20 und wohl auch
des § 21 lediglich um prozessuale Beweisvermutungen 1 handelt, deren Entscheidung
(§ 6 Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung) nach den Vorschriften der Straf-
prokzßordnung erfolgt, war der Erlaß solcher Vorschriften im Wege des Landesgesetzes
unzulässig.
V. Nach § 22 Preßgesetz verjährt die Strafverfolgung derjenigen Verbrechen
und Vergehen, welche durch die Verbreitung von Druckschriften strafbaren Inhalts be-
gangen werden, sowie derjenigen sonstigen Vergehen, welche in diesem Gesetze mit
Strafe bedroht sind, in sechs Monaten. Bezüglich dieser Bestimmung ist für Elsaß-
Lothringen durch die Rechtsprechung !7 entschieden, daß sie, als im Widerspruch mit
dem Reichsrecht stehend, ungültig ist. Die Strafverfolgung der in Elsaß-Lothringen
durch Verbreitung von Druckschriften begangenen Verbrechen und Vergehen, die im
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich mit Strafe bedroht sind, verjährt nicht in
sechs Monaten, sondern nach Maßgabe der §§ 66 f. Strafgesetzbuch. Ob ausschließ-
lich reichsländisches Gebiet oder auch andere Orte des Deutschen Reiches, wo die
Zeitung Verbreitung fand, in Betracht kommen, ist nicht entscheidend; es genügt, daß
die einheitliche Tat auch im Gebiete des Reichslandes begangen ist, um die Straf-
verfolgung durch die reichsländischen Gerichte zu rechtfertigen.
Als Beginn der Verjährung nach § 22 Preßgesetz ist der Tag des ersten
Erscheinens anzunehmen 15; finden mehrere selbständige Veröffentlichungsakte statt, so
verjährt jede dadurch begangene Straftat für sich.
VI. Weitere polizeiliche Bestimmungen. 1. Pflichtexemplare.
Von jeder Nummer (Heft, Stück) einer periodischen Druckschrift muß der Verleger,
sobald die Austeilung beginnt, ein (Pflicht-hexemplar gegen eine ihm sofort zu erteilende
Bescheinig ng 1 an die Polizeibehörde des Ausgabeortes unentgeltlich abliefern. Von
Druckschriften, die ausschließlich Zwecken der Wissenschaft, der Kunst, des Ge-
werbes oder der Industrie dienen, braucht ein Pflichtexemplar nicht abgegeben zu
werden (5 9) 0.
½ Vgl. mein Preßgese a 20 Noten 1, 3, 6.
11 R.G. v. 21. Sept. 1911, E. 45 S. 158; O. L.G. Colmar v. 14. Aug. 1907, Els.-l. Z. 34
S. 35 (Ubertretungen verjähren in drei Monaten), und v. 12. Dez. 1905, Elf.-l. Z. 32 S. 508.
Mein Preßgesetz S. 50 f.
Zuwiderhandlungen gegen § 4 elf.-lI. Pr.G. fallen, auch wenn sie in § 18 Pr.G. nicht aus-
drücklich aufgezöhlt find, doch kraft Landesgesetzes unter diesen Paragraphen und verjähren daher in
sechs Monaten. R. G. v. 22. Juni 1911, E. 45 S. 76.
18 And. Ans. v. Schwarze- Appelius S. 213. 200. 199, 198. 148. Z
10 Die Bescheinigung erfolgt stempelfrei. Min. Ausf. Best. Art. 7. Polizeibehörde ist in den
Städten, welche der Siß eines Bezirkspräfidiums sind, der Bezirkspräfident, in den Städten, welche
der Sitz einer Kreisdirektion sind, der Kreisdirektor, in den übrigen Orten der Bürgermeister.
"46 Wahlaufrufe und ähnliche Flugblätter fallen nicht unter die Pflichtexemplare, auch nicht
unter die Freiexemplare. R.G. v. 22. April 1901; O.L.G. v. 25. Juni 1901, Els.-I. Z. 28 S. 181.