236 Bierter Teil. Die Landesverwaltung. 8 61
teilweise durch Naturalverpflegung, durch Unterbringung in einem Armenhause, einem
Pflegehause (Hopth oder in einem Krankenhause sowie durch Anweisung der den
Kräften des Hilfsbedürftigen entsprechenden Arbeit („Notstandsarbeiten“) außerhalb
oder innerhalb einer Arbeitsanstalt gewährt werden (§ 2 A.G.) .
Wer selbst oder in der Person der seinen Unterstützungswohnsitz teilenden An-
gehörigen aus öffentlichen Armenmitteln nicht nur vorübergehend unterstützt wird,
kann, soweit dies zur Beseitigung oder Verminderung der bestehenden Hilfsbedürftigkeit
erforderlich ist, von dem unterstützungspflichtigen Armenverbande zur Verrichtung einer
seinen Kräften angemessenen Arbeit angehalten und bei Weigerung, die zugewiesene
Arbeit zu verrichten, zwangsweise auf Antrag des unterstützungspflichtigen Armen-
verbandes durch Beschluß des Schiedsamts in eine Arbeitsanstalt gebracht werden ?.
In welcher Weise im Einzelfalle die Unterstützung gewährt wird, ist dem Er-
messen der Armenverbände überlassen. In der Regel wird — namentlich in Land-
gemeinden — Naturalverpflegung in Frage kommen. Hilfsbedürftigen Kranken hat der
Ortsarmenverband freie ärztliche Behandlung, die von dem Armenarzt? verordneten
Heilmittel, sowie die unbedingt erforderliche Krankenpflege zu gewähren. Erscheint
nach dem Gutachten des Arztes Anstaltspflege für den Kranken geboten, so kann die
Verwaltung des Armenverbandes seine Unterbringung in einem Krankenhause anordnen.
Die Ortsarmenverbände sind verpflichtet, die für die örtliche Krankenpflege er-
forderlichen Einrichtungen zu treffen. Mehrere benachbarte Ortsarmenverbände können
solche Einrichtungen gemeinschaftlich herstellen (§ 17 1)“.
Im Falle des Ablebens einer mittellosen Person hat der Ortsarmenverband für
deren Beerdigung zu sorgen 18)5.
Die Armenpflege vollzieht sich nun entweder als offene (in der Wohnung des
Bedürftigen) oder als geschlossene (in Anstalten).
I. Die offene Armenpflege: 1. Die Armenräte. Vor dem Inkraft-
treten des Unterstützungswohnsitzgesetzes waren die Armenräte (bureaux de bien-
faisance) öffentliche Anstalten (établissements publics) mit allen Rechten
solcher gewesen. Dies hat sich für die Zukunft im Hinblick auf § 8 A. G. geändert.
Wie bereits hervorgehoben, kann der Gemeinderat einer Gemeinde, die einen selb-
ständigen Ortsarmenverband bildet, anstatt selbst die öffentliche Armenpflege zu ver-
walten, dieselbe einem bestehenden Armenrat (oder dem Verwaltungsrat eines
Pflege= oder Krankenhauses) übertragen. Nur hierdurch wird dem Armenrat die
Möglichkeit eröffnet, für die Zubunft die Eigenschaft einer juristischen Person beizu-
behalten. In diesem Falle sind die Einkünfte des Armenrats, soweit sie nicht durch
stiftungsmäßige Anordnungen in Anspruch genommen sind, vorweg für die den Orts-
armenverbänden obliegenden Leistungen zu verwenden (§ 8). Macht der Gemeinde-
rat nicht von der ihm durch § 8 gegebenen Möglichkeit Gebrauch, so verliert der
Armenrat die Rechtsfähigkeit, und sein Vermögen sowie seine Rechte und Pflichten
gehen auf die Gemeinde über. Die Einkünfte sind in diesem Falle, vorbehaltlich der
auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen für die Zwecke der öffentlichen
(X 61|1 1 Steht dem Hilfsbedürftigen während einer Krankheit auf Grund des Krankenversicherungs-
gesetzes ein Unterstützungsanspruch für einen gewissen Zeitraum zu, so geht derselbe im Betrag der
geleisteten Armenunterstützung auf den Armenverband über. § 57 Abs. 2 u. 8 R.V.G.; vgl. serner
§ 25 Abs. 2 bis 5 Gewerdeunfall-V.G. § 49 Abs. 2 bis 4, § 173 Inval.V.G.
2 § 37 A.G. Daselbst auch üÜber das Verfahren des Schiedsamtes. Die Entlassung aus
der Arbeitsanstalt ist vom Armenverbande zu verfügen, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen der
Unterbringung weggefallen sind. ç
Zum r des Bettels und der Landstreicherei vgl. O. L.G. Kassel v. 2. April 1905,
Reger E. 26 S. 293. Z„ Z
* Der Armenarzt wird vom Ortsarmenverband bestellt. Seine Obliegenheiten können den
Kantonalärzten übertragen werden. Vgl. auch § 16 Abs. 3 A.G.
4 Stehen einem Ortsarmenverbande eigene oder mit anderen Verbänden gemeinsame Kranken-
anstalten oder selbständige Gemeindekrankenzüser nicht zur Verfügung, so hat er sich die Mitbenutzung
von Krankenhäusern in auswärtigen Gemeinden vertragsmäßig zu sichern. ç
5 Gebühren für geistliche Amtshandlungen zu zahlen, ist der Ortsarmenverband jedoch nicht
verpflichtet, § 18 S. 2 #