Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

252 Vierter Teil. Die Landesverwaltung. 8 66 
  
behörde ein weiter Spielraum gegeben, der, was insbesondere Inhalt und Umfang der 
anzuordnenden Maßregeln betrifft, nur insoweit als begrenzt anzusehen ist, daß sich 
de innerhalb vernünftiger Grenzen halten muß und nicht ganz willkürlich 
ein darf ?. 
Gerade bei Seuchengefahr ist der Verordnungsgewalt des Bürgermeisters und des 
Bezirkspräsidenten der unter gewöhnlichen Verhältnissen verwehrte Eingriff in die 
Privatrechtssphäre des Einzelnen in weitgehender Weise gestattet 3. 
A. Das Sanitätswesen hat, wie bereits hervorgehoben, hauptsächlich 
polizeilichen Inhalt; man unterscheidet daher auch die höhere (oder Seuchen-) und 
die niedere Gesundheitspolizei. 
I. Die höhere Gesundheitspolizei wendet sich gegen die Seuchen oder 
Massenkrankheiten. Grundsätzlich ist die Bekämpfung derselben, da es sich um eine 
rasch um sich greifende Gefahr handelt, der schnell geschaffenen und den Verhältnissen 
des Einzelfalles am leichtesten anpaßbaren Polizeiverordnung überlassen. Daneben sind 
aber auch durch die Reichsgesetzgebung unmittelbare gesetzliche Bestimmungen getroffen. 
Hierher gehören: 
1. das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 (R.G. Bl. S. 31)4, 
welches den Impfzwang zum Schutze gegen die Pocken hinsichtlich aller im Reichs- 
gebiet aufhältlichen Impfpflichtigen angeordnet hat. Dem Impfzwang unterliegen alle 
Kinder (ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit) vor dem Ablauf des auf das Geburts- 
jahr folgenden Kalenderjahres, sofern das Kind nicht nach ärztlichem Gutachten die natür- 
lichen Blattern überstanden hat, und ferner alle Zöglinge einer öffentlichen Lehranstalt 
oder Privatschule innerhalb des Jahres, in welchem sie das zwölfte Lebensjahr zurückgelegt 
haben, und zwar ebenfalls unter der Voraussetzung, daß sie nicht nach ärzlichem Zeugnis 
innerhalb der letzten fünf Jahre die natürlichen Blattern überstanden oder mit Erfolg 
geimpft worden sind. Erfolglose Impfungen müssen im nächsten Jahre und allenfalls 
im dritten Jahre wiederholt werden. lber jede Impfung wird nach Feststellung ihres 
Erfolges ein Impfschein nach einem vom Bundesrat vorgeschriebenen Formular aus- 
gestellt. Die Impfung wird aufgeschoben bei solchen Personen, bei welchen sie ge- 
sundheitsschädigende Wirkungen äußern könnte 7. 
Das ganze Land ist in Impfbezirke eingeteilt, die von dem Bezirkspräsidenten 
gebildet werden; für jeden Bezirk wird ein Impfarzt von dem Bezirkspräsidenten er- 
nannt. Die Impfung erfolgt regelmäßig mit Tierlymphe, welche aus den unter staat- 
licher Aufsicht stehenden Landesimpfanstalten geliesert wirds. Die llberwachung des 
Impfgeschäftes liegt den Kreisärzten ob, welche insbesondere die Richtigkeit der Impf- 
listen zu überwachen haben ?. 
* R.G. v. 30. Mai 1911 im „Recht“ 1911 S. 528. Die erwähnten Feschlichen Bestimmungen 
von 1789 und 1790 sind neben neueren Gesetzen, z. B. dem Gesetz v. 13. April 1850 (ungesunde 
Wohnungen) und den Reichsgesetzen zur Bekämpfung von Epidemien, bestehen geblieben. 
s Grün, Police administrative; Leoni-Mandel S. 158. 
* Ausführungsgesetz v. 14. Nov. 1875 (Gl. S.d185— Vell Iahrb der Medizinaloerwaltung 
Jan. (Centr. Bl. S. 
Bd. 13 (1900) S. 138 f. — Impfordnung v. 17. onl Jnß e . 
5 Es handelt sich hier um polizeilichen Zwang; die Kinder können daher zwangsweise vor- 
geführt werden. Reger E. 16 S. 202. Eltern, Vormünder usw., die ihre Kinder nicht rechtzeitig 
zur Impfung bringen, machen sich strafbar. §&§ 12, 15. Eine Wiederholung der Strafe ist zulässig. 
Reger E. Bd. 13 S. 78. . 
Die erste Ausstellung erfolgt stempel- und gebührenfrei. §§ 10, 11 Impfgesett. 
7 Einen außerordentlichen Impfzwang, z. B. zur Zeit des Herrschens einer Epidemie, fieht 
das Impfgesetz nicht vor; indessen sind nach § 18 a#l. 2 die diesbezüglichen landesgesetzlichen Vor- 
schriften aufrechterhalten worden. Die einzige Hierser gehörige Bestimmung — Art. 5 der Ver. des 
Generalgouverneurs v. 20. Jan. 1871, welche die Wiederimpfung aller Kinder bis zum 14. Lebens- 
jahre im Falle des Auftrelens der Blattern vorsah — ist durch das Reichsimpfgesetz besettigt worden. 
Bedor ist es auf Grund der Gesetze v. 1789, 1790 und Str. G. B. § 327 jederzeit möglich, durch 
oligeiverordnung solche Zwan zimpfungen anzuordnen. * 
Z § Solche Anstalten befehen zu Straßburg und Metz; fie stehen unter Aufsicht des Ministe- 
riums. Ministerialerlaß v. 28. Juni u. 8. Nov. 1899 (Jahrb der Medizinalverw. Bd. 13 S. 155). 
e 112) Impfordnung § 16. Ministerialerlaß v. 4. März 1891 (Jahrb. der Medizinalverw. Bd. 3 
112.
	        
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