Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

§ 3 Das Gesetz, betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879. 11 
  
Reichslands einen guten Schritt vorwärts, daß die völlige Identität von Reichs= und 
Landesgesetzgebung nunmehr aufhörte. Rein äußerlich betrachtet war Elsaß-Lothringen 
auf diese Weise den Bundesstaaten ähnlich geworden 2"; in Wirklichkeit aber blieb es 
Reichsland, ohne eine von der Reichsgewalt verschiedene Staatsgewalt zu besitzen. 
§ 3. Das Gesetz, betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens, 
vom 4. Juli 1879. Nur kurze Zeit sollte es dauern, und die Verfassung des Landes 
machte einen weiteren bedeutsamen Fortschritt. Elsaß-Lothringen hatte bisher eine Ver- 
tretung im Bundesrat nicht erhalten, obgleich schon in den Motiven zum Vereinigungs- 
gesetz vom 9. Juni 1871 bemerkt worden war, daß E.-L. eine Vertretung im Bundesrat 
nicht versagt werden sollte 1. Eine Besserung, wenn auch keinen vollwiegenden Ersatz nach 
dieser Richtung brachte das Gesetz vom 4. Juli 1879, betr. die Verfassung und 
Verwaltung Elsaß-Lothringens (R. G. Bl. S. 165), durch dessen § 7 vor- 
gesehen wurde, daß der Statthalter zur Vertretung der Vorlagen aus dem Bereich 
der Landesgesetzgebung sowie der Interessen Elsaß-Lothringens bei Gegenständen der 
Reichsgesetzgebung Kommissare abordnen könne, welche an den Beratungen des 
Bundesrats teilnehmen könnten. Diese elsaß-lothringischen Bundesratskommissare 
hatten also keine beschließende, sondern nur eine beratende Stimme; es entsprach 
dies der Stellung Elsaß-Lothringens als Reichsland ohne Staatseigenschaft. 
Das Gesetz von 1879 brachte aber für das Reichsland noch andere, weit bedeutsamere 
Veränderungen staatsrechtlicher Natur. Der Oberpräsident, der eigentlich die Funktionen 
eines Ministers oder eines Ministeriums versah, hatte rechtlich, wie bereits oben erwähnt, 
diese Stellung nicht; über ihm stand als eigentlicher Chef der Verwaltung der Reichs- 
kanzler, so daß gleichsam zwei Ministerien übereinander bestanden, der Oberpräsident in 
Straßburg und der Reichskanzler bzw. das Reichskanzleramt in Berlin 2. Diese räum- 
liche Trennung bildete bei den in der Folge nicht ausbleibenden Meinungsverschieden- 
heiten dieser Behörden ein erhebliches Hindernis für einen ruhigen Geschäftsgang. 
Noch schwieriger wurden diese Verhältnisse dadurch, daß sich die einzelnen Abteilungen 
des Reichskanzleramts zu selbständigen obersten Reichsbehörden umwandelten, und daß 
seit dem 1. Januar 1877 die dritte Abteilung zum Reichskanzleramt für E.-L. und 
die vierte zum Reichsjustizamt konstituiert wurde. Die auf Grund des Stellvertretungs- 
gesetzes zu verantwortlichen Stellvertretern des Reichskanzlers bestellten Chefs dieser 
Reichsämter und damit auch der Chef des Reichskanzleramts für E.-L. bildeten nun 
ein neues Zwischenglied in dem amtlichen Verkehr zwischen der Reichsregierung in 
Berlin und der in Straßburg lokalisierten Landesverwaltung. Diese Mißstände er- 
heischten dringend eine Reform; schon aus Zweckmäßigkeitserwägungen schien es daher 
geboten, die Spitze der Regierung des Reichslandes nach Straßburg zu verlegen, wo 
bereits auch der Landesausschuß tagte. Gleichzeitig kam man damit auch den politischen 
Wünschen der reichsländischen Bevölkerung entgegen, ein Moment von nicht zu unter- 
schätzender Bedeutung für die ruhige Entwicklung des Landes. 
Diesen Erwägungen hauptsächlich verdankt das Gesetz vom 4. Juli 1879 
seine Entstehung; es bestimmt in seinem § 1: Der Kaiser kann landesherrliche Be- 
fugnisse, welche ihm kraft Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen zustehen, 
einem Statthalter übertragen, der in Straßburg residiert. In § 2 werden die 
Befugnisse und Obliegenheiten des Statthalters näher umschrieben: Er erhielt diejenige 
:4 E.-L. wurde, auch abgesehen von der besonderen Landesgesetzgebung, durch seine be- 
sonderen Landesbehörden (Oberpräsident) und Landesbeamten, durch die Vertretung seiner Bevölkerung 
im Reichstag und schließlich durch die Schaffung der „Landesangehörigkeit“ im Sinne des Staats- 
angehorigkeitsgesetzes den Bundesstaaten in vielen Beziehungen gleich erachtet. Namentlich galt dies 
auch im Hinblick auf die Finanzen. Durch § 3 des Gesetzes von 1877 war bestimmt worden, 
daß die Rechnungen über den Landeshaushalt dem Bundesrat und dem Landesausschuß zur Ent- 
lastung vorgelegt werden sollten. Versagte der Landesaueschuß die Entlastung, so konnte dieselbe 
durch den Reichstag erfolgen. 
E 31 Sol- auch die ÄAußerung Fürst Bismarcks in der Reichstagssitzung v. 31. März 1879. 
eoni S. 8. 
2 Vgl. für das Folgende Laband II S. 227.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.