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Handel, Gewerbe, Kunst. 327
4. Für eine Wiedergabe der Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung ist in der
folgenden Darstellung kein Raum; es sollen daher hier nur die ergänzenden landes-
rechtlichen Bestimmungen erörtert werden.
Durch die Kaiserliche Verordnung vom 24. Dezember 1888 (G, Bl. S. 101) 21
ist die Zuständigkeit der Behörden und das Verfahren geregelt; neben den zu-
ständigen Reichsorganen (Kaiser, Bundesrat, Reichskanzler), von denen den beiden
erstgenannten eine polizeiliche Verordnungsgewalt, und den beiden letztgenannten gewerbe-
polizeiliche Verwaltungstätigkeit eingeräumt ist 22, kommen die Landesbehörden in Be-
tracht, und zwar überall da, wo die Gewerbeordnung nicht eine bestimmte Behörde als
zuständig bezeichnet. Das Ministerium trifft Bestimmung, welche Behördenstufe im
Einzelfalle tätig zu sein hat 26.
Betreffs des Verfahrens in gewerbepolizeilichen Angelegenheiten ist zu unter-
scheiden, ob es sich um die Geltendmachung eines Rechtsanspruches und die Feststellung
einer Tatsache oder um eine in das freie Ermessen der Behörden gestellte Bewilligung,
Erlaubnis usw. handelt. Nur für die erstgenannten Fälle 24 hat das Reichsrecht bestimmte
Formen? für das Verfahren aufgestellt, während im übrigen nur die formlose Ver-
waltungsbeschwerde eingeräumt ist.
5. Zur Ausführung der Gewerbeordnung ist ferner vom Ministerium die An-
weisung vom 27. Dezember 1888 erlassen worden, welche neben Verwaltungs-
vorschriften auch gewisse materiell-rechtliche Bestimmungen berührt.
Das Reich übt nur die Oberaufsicht über die gewerbepolizeiliche Verwaltungs-
taligteit aus- während die tatsächliche Durchführung derselben den Einzelstaaten über-
lassen ist.
a) Als Aufsichtsorgan dienen im Lande die Gewerbeaufsichtsbeamten '',
deren für jeden Bezirk einer bestellt ist. Sie sollen die Aufsichtstätigkeit der ordent-
lichen Polizeiorgane ergänzen und daher insbesondere zur Aufdeckung gelangte Miß-
stände melden. Polizeiliche Verfügungen sollen sie nur erlassen, falls Gefahr im Verzug
ist. Ihr Aussichtsrecht erstreckt sich auf die Ausführung der Vorschriften über die
Sonntagsruhe in industriellen Betrieben, den Arbeiterschutz, die Arbeiterordnungen
usw., ferner auf die genehmigungspflichtigen (§ 16 Gew.O.) und die in § 27 Gew.O.
aufgeführten gewerblichen Anlagen.
S. 204. — Über den gewerblichen Ausschank und Kleinverkauf von Branntwein O.L.G. Colmar in
Els.-l. 1. 1906 S. 585 und 1907 S.
ais. Rat. v. 24. Nov. 1900 Nr. 276 und oben S. 268.
au Ergenzt durch Ver. v. 18. Jan. 1887 (G Bl. S. 3), v. S. Okt. 1900 (G. Bl. S. 147) und
v. 18. April 1907 (G. Bl. S. 39). ?28 Leoni-Mandel S. 267.
23 Gew. O. § 155 Abs. 2; Bek. des Min. v. 26. Dez. 1888 (Centr. Bl. S. 308) und v.
23. März 1892 (Centr. Bl. S. 171), betr. die Zuständigkeit der Behörden nach Maßgabe von § 155
Abs. 2 Gew. O. Danach ist unter der Bezeichnung „höhere Verwaltungsbehörde“ der
Bezirkspräsident, unter der Bezeichnung „untere Verwaltungsbehörde“ der Kreis=
direktor, in den Stadtkreisen der Polizeidirektor (-präfident), und unter der Bezeichnung „Ge-
meindebehörde, Ortsbehörde und Unterbehörde“ der Bürgermeister und unter der
Bezeichnung „Ortspolizeibehörde“ in den Städten Straßburg, Metz und Mülhausen der
Polizeidirektor (präfident) zu verstehen, soweit nicht auf Grund des Gesetzes, betr. die Einrichtung
der Verwaltung, v. 30. Dez. 1871 (G. Bl. 1872 S. 49) die bezüglichen polizeilichen Befugnisse der
Gemeindeverwaltun überlassen sind, in den übrigen Gemeinden der Bürgermeister. — Für die
unter Reichs= und Staatsverwaltung stehenden Betriebe find die unteren und höheren Verwaltungs-
behörden bezeichnet durch die Min. Ver. v. 15. Nov. 1892 (Centr. Bl. S. 403), v. 13. Mai 1898
(Centr. Bl. S. 147) und v. 21. Aug. 1902 (Centr. Bl. S. 209). Bruck III S. 74 N. 1.
44 Bgl. Gew. O. § 16—19, 20, 21, ferner 40, 54, 63. Über Entschädigungsansprüche
esen Schzung geiren Gewerbebetriebs vgl. R.G. v. 7. Okt. 1912 und v. 4. Febr. 1913, Jur. Woch.
3 S. u. .
26 Über Verfügungen des Bezirkspräsidenten entscheidet der Kais. Rat, über Verfügungen des
Kreis-(Polizei-)direktors oder der Ortspolizeibehörde der Bezirksrat. War der Rekurs gegen eine Ver-
fügung der Ortspolizeibehörde gerichtet, so entscheidet der Bezirksrat endgültig.
26 Centr. Bl. S. 309, ergänzt durch die Ausführungsanweisung v. 15. Mai 1907 (Cetr dl. S. 91).
27 Gew.O. § 139b; Dienstanw. v. 26. Mai 1892 (Centr Bl. S. 243). Sie führen den Titel
„Gewerbeinspektoren“ und find den Bezirkspräsidenten beigegeben. Der am Bezirkspräfidium
des Unterelsaß tätige Gewerbeinspektor ist zugkeich Referent des Ministeriums. Zur Unterstützung
der Gewerbeinspektoren können „Assistenten" bestellt werden.