8 79 Die öffentlichen Wege. 345
VIII. Bei der Schaffung von Vizinalstraßen sind zwei Fälle zu unterscheiden:
Verbreiterung eines bereits bestehenden Weges (Clargissement) und die Neu-
anlage einer Vizinalstraße (ouverture ou redressement d'’'un chemin vicinal).
Das Verfahren in diesen beiden Fällen unterscheidet sich dadurch 2#2, daß auf Grund
des Art. 15 (Gesetz 1836) der Beschluß des Bezirkspräsidenten, welcher die Breite
einer Vizinalstraße anerkennt oder festsetzt, die Wirkung hat, daß er das nicht bebaute
angrenzende Eigentum in den festgesetzten Grenzen dem Wege endgültig zuteilt und
daß das Recht des Eigentümers der betreffenden Grundstücke sich in einen Ent-
schädigungsanspruch auflöst, über welchen im Streitfalle die ordentlichen Gerichtes3
nach vorheriger Einholung des Gutachtens Sachverständiger 3“ zu entscheiden haben,
während im Falle des Art. 16 (Neuanlage oder Verlegung einer Vizinalstraße, ferner
Besitznahme bebauter Grundstücke zwecks Verbreiterung bestehender Straßen) eine förm-
liche Zwangsenteignung erforderlich ist, bei welcher nur in einigen Beziehungen das
Verfahren gegenüber den Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Mai 1841 vereinfacht
ist 35. Die Folge dieser Verschiedenheit ist, daß im Falle des Art. 15 der Eigentums-
übergang sich durch den Beschluß des Bezirkspräsidenten, im Falle des Art. 16 da-
gegen durch das Enteignungsurteil des Gerichts vollzieht 36. Die festgesetzten Ent-
schädigungen sind vor der Inbesitznahme der Grundstücke den Berechtigten aus-
zuhändigen o7.
Bei Arbeiten an Vizinalstraßen können die angrenzenden Grundstücke zur Ent-
nahme von Baustoffen und zur Ablagerung von Waren zeitweilig auf Anordnung des
Bezirkspräsidenten hin benutzt werden. Die Anordnung ist den Beteiligten zehn Tage
vor Ausführung der Arbeiten mitzuteilen. Die Verwaltung macht sich hier eine öffentlich-
rechtliche Dienstbarkeit zunutze, schuldet aber dafür Entschädigung. Mangels gütlicher
Einigung wird dieselbe bei Straßen des großen Verkehrs durch den Bezirkspräsidenten,
in den übrigen Fällen durch den Bezirksrat festgesetzt 88.
von Straßen dagegen lediglich die hierbei beteiligten Gemeinden herangezogen werden sollen. Auch
diese Unterscheidung ist dem Ges. v. 21. Mai 1886 Art. 6 ganz fremd.
31 Verh. des Bezirkstages des Unterelsaß 1893 S. 198 f., 116 f. (Bez. A. Bl. f. U.-E. 1894
S. 113); Ver. des Statth. v. 24. Febr. 1894 (Centr. Bl. 1894 S. 97). Z
Die Bizinalstraßenverbände im Bezirk Unterelsaß sind ebenfalls keine juristischen Personen,
vielmehr „nur die in Beziehung auf den Unterhalt der Kreisstraßen zu einer finanziellen und ver-
woltungerechtlichen Einheit verbundene Gesamtheit der Gemeinden eines Kreises“. Vgl. Els.-I. Z.
21 S. 333, 30 S. 360, 34 S. 123; Geigel, ebenda 31 S. 217.
Abgesehen von der Verteilung der Wegebaulast an den Vizinalstraßen, find auch hinsichtlich
der eigentlichen Verwaltung derselben in den einzelnen Bezirken auf administrativem Wege ver-
schiedene Systeme eingeführt. Die Zuständigkeit der Bezirksbehörden hinsichtlich der Vizinalstraßen-
verwaltung ist durch die Verordnung v. 20. Sept. 1873 insofern frändert worden, als das Recht der
zwancswesen Budzetfestsetzung bezüglich der Gemeindebeiträge für die Bizinalstraßen (Art. 5 Ges.
v. 21. Mai 1836) den Kreiedirektoren Übertragen ist.
32 O L.G. Colmar v. 5. April 1909, Els.-I. 3. 34 S. 8377; Leoni-Mandel S. 220;
Ie Lalleau II Nr. 1094 f.; Dalloz Rp. voirie par terre Nr. 427 f., 488 f.
38 Und zwar in erster Instanz das Amtsgericht, welches im Wege der Beschwerde an-
ggangen wird. Die Rechtsmittel richten sich nach der Zivilprozeßordnung. O L.G. Colmar v.
Febr. 1905, Elf. l. Z. 30 S. 462. ·
«VondenenjeeinervomBezirkörahKreiödirektorundEigentümerernanntwtrd.
es Die #Eatschädigung wird hier von der sog. kleinen Zurd lsgeet. welche das Land-
gericht in der Zahl von vier Geschworenen aus der Urliste der Enteignungsgeschworenen auswählt,
und die im Enteignungsurteil bezeichnet werden. Zum Vorsitzenden wird ein Mitglied des Land-
gerichts oder der Amtsrichter des Kantons bezeichnet. Bei Stimmengleichheit gibt der Vorsitzende
den Ausschlag. Ges. v. 21. Mai 1836 Art. 16 Abs. 2—6; vgl. Ges. v. 20. Juni 1887.
26 Auch wenn es sich um die Enteignung kleiner unbedeutender Flächen handelt, darf das
Verfahren nach Art. 15 nicht angewandt werden, wohl aber steht in einem solchen Falle der An-
wendung des Art. 16 nichts im Wege, auch wenn es sich auf Teilstrecken nur um eine Verbreiterung
des Weges handelt. Bei räumlich scharf abg. grenzten Teilen eines Weges, und als solche Grenze
kommt z. B. der Gemeindebann in Betracht, ist eine teilweise Anwendung der Art. 15 u. 16 an-
wendbar. O.L.G. Colmar v. 5. April 1909, Els.-l. Z. 34 S. 380.
7 Art. 53 Ges. v. 3. Mai 1841.
28 Ges. v. 21. Mai 1836 Art. 17, 18; Dekr. v. 13. April 1861 Tab. A Nr. 62. Der An-
spruch der Eigentümer verjährt in zwei Jahren.