§ 81 Die Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen.
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oder mit dessen Zustimmung gebaut werden dürfen. Damit ist für das Reich in Elsaß-
Lothringen das Eisenbahnmonopol grundsätzlich zur Anwendung gebracht. So-
weit das Reich selbst Eisenbahnen baut oder betreibt, steht die Ausübung der auf
den Bau und den Betrieb der Eisenbahnen sich beziehenden Rechte der Reichsverwaltung
zu. Eine Genehmigung der Landesbehörden, etwa was die vorzunehmenden Ent-
eignungen anlangt, ist mithin ausgeschlossen. Soweit das Reich auf den Ausbau
bestimmter Linien verzichtet (vgl. Abkommen von 1902) hat die Landesverwaltung das
Recht, den Bau und Betrieb von Eisenbahnen in die Hand zu nehmen (sogenannte
Landeseisenbahnhoheit). Tatsächlich hat indessen das Reich alle wichtigen Bahnstrecken
im Betrieb und auf noch zu bauende Eisenbahnlinien die Hand gelegt. Die zum Bau
von Landesbahnen notwendige Zustimmung des Reiches bezieht sich auf alle öffent-
lichen Eisenbahnen, und zwar nicht bloß auf die vom Lande selbst, sondern auch auf
die von einem konzessionierten Unternehmer gebauten. Unerheblich in dieser Beziehung
ist ferner, ob es sich um Haupt= oder Nebenbahnen, um dem Lokal= oder dem Fern-
verkehr dienende Bahnen handelt 18.
1. Die Zustimmung des Reiches zum Bau einer Eisenbahn hat nich t
den Charakter einer Konzessionserteilung an Elsaß-Lothringen. Die Zuständigk eit der
Landesverwaltung zum Bau von Eisenbahnen ist gesetzlich dahin festgelegt, daß, soweit
das Reich den Bau der Bahn freigegeben hat, das Land unmittelbar an seine Stelle
tritt; es handelt sich deshalb auch nicht etwa um eine Delegation des Reiches an Elsaß-
Lothringen. Das Reich kann daher auch nicht für solche Strecken, die es freigegeben
hat, die Konzession an einen ihm genehmen Unternehmer erteilen; hierzu ist vielmehr
nur Elaß-Lothringen selbst in der Lage. Das Reich hat die Eisenbahnhoheit nur
insoweit, als es selbst den Bau der Bahn sowie ihren Betrieb in die Hand nimmt.
2. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Reich seine Zustimmung dafür
erteilt, daß die Landesverwaltung eine Bahn entweder selbst baut oder einem Unter-
nehmer die Konzession erteilt, ist ganz in das Ermessen der Reichsbehörde gestellt.
Davon, daß das Reich unter bestimmten Voraussetzungen, etwa nach Ablauf einer
Anzahl Jahre, der Landesverwaltung die Zustimmung zum Bau der Bahn erteilen
müßte, kann keine Rede sein. Die Zustimmung ist beispielsweise an die Bedingung
geknüpft worden, daß der Güterverkehr auf einer bestimmten Strecke ganz oder für
bestimmte Massenartikel untersagt wird, daß solche Werke und Betriebe, die bereits
Bahnanschluß an die Reichseisenbahn erhalten haben, nicht an die Landesnebenbahn
angeschlossen werden dürfen, oder schließlich, und das ist vielfach die lästigste Bedingung,
daß der Unternehmer eine von ihm ursprünglich gar nicht in sein Projekt einbezogene
Bahnlinie zu bauen hat 152. Ob solche Bedingungen im Einklang mit Art. 41 R.V.
stehen, dürfte füglich angezweifelt werden.
2. Soweit nun das Reich selbst Eisenbahnen baut oder betreibt, steht die Aus-
übung der auf den Bau und Betrieb der Eisenbahnen sich beziehenden Rechte der
Reichsverwaltung zu. Entstehen zwischen der Reichs= und der Landesverwaltung
Meinungsverschiedenheiten über den Umfang dieser Rechte, so entscheidet hierüber der
Bundesrat (§24 II V.G.). Es entspricht dies, wie Laband hervorhebt (II, 260),
der Funktion, welche dem Bundesrat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem
Reichskanzler und der Regierung eines Bundesstaates hinsichtlich der Ausführung eines
Reichsgesetzes zusteht 11. Ob der Bundesrat die vor ihn gebrachten Eisenbahnstreitig-
keiten selbst entscheiden oder sie einem Schiedsgericht übertragen will, ist nach dem
Wortlaut des Gesetzes vollständig in sein Ermessen gestellt. In der Regel wird es
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12 Vgl. Komm. Ber. S. 36 und Begr. zum Verfassungsentwurf S. 21. Die Zuftimmun des
Reiches ist auch erforderlich, wenn eine dem Privatverkehr gewidmete Eisenbahn dem öffentlichen
Verkehr übergeben werden soll.
1c Vgl. hierzu die Landesausschußverhandl. v. 4. März 1908.
14 Die Kompetenz des Bundesrats als eines obersten Verwaltungsgerichtshofes für E.-L. ist
vadurch um eine wichtige Materie erweitert worden. Vgl. auch § 9 1 Ges. v. 30. Dez. 1871 (recours
comme d'abus).