858 Vierter Teil. Die Landesverwaltung. 8 81
genügen, wenn der Bundesrat einer der beteiligten Behörden seine Auffassung zum
Ausdruck bringt, ohne daß es zu einer förmlichen Entscheidung kommt 5.
V. Eine wesentliche Besserstellung des Reichslandes gegenüber dem bisherigen
Rechtszustand bringt § 21 Abs. 3 V. G. insofern, als er vorschreibt, daß, wenn durch
den Bau neuer oder die Veränderung bestehender Eisenbahnen die Verkehrs-
interessen 16 des Landes berührt, oder wenn durch die Herstellung neuer oder die
Veränderung bestehender Eisenbahnanlagen in den Geschäftsbereich der Landespolizei
eingegriffen wird, die Entscheidungen der Reichsverwaltung nur nach Anhörung
der Landesbehörden ergehen dürfen. Das gleiche soll für die Entscheidungen
über die Zulässigkeit der Enteignung gelten. Um die Durchführung dieser Be-
stimmung zu sichern, ist vorgeschrieben, daß die Entscheidung eine Feststellung der
vorherigen Anhörung der Landesverwaltung zu enthalten hat. Die Anhörungspflicht
erstreckt sich nicht nur auf die erstmalige Herstellung einer neuen Anlage, sondern auch
auf die Abänderung bereits bestehender Anlagen 17.
Durch die Vorschrift des § 24 III V.G. ist den Landesbehörden lediglich ein
Anhörungsrecht, d. h. ein Recht auf Verschaffung der Gelegenheit zur gutachtlichen
Außerung zuerkannt, und zwar deshalb, weil, wie die Begründung (S. 22) hervor-
hebt, „die verkehrspolitischen Entscheidungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung
des Landes eine große Bedeutung haben“.
An die gutachtliche Außerung der Landesbehörde ist die Reichsbehörde indessen
nicht gebunden. Aus dem Umstande, daß die Anhörung der Landesverwaltung in den
gesetzlich vorgeschriebenen Fällen nicht erfolgt oder daß in der Entscheidung der Reichs-
behörde die Feststellung der vorherigen Anhörung der Landesverwaltung nicht statt-
gefunden hat, läßt sich ein Grund für die Unwirksamkeit der Entscheidung nicht her-
leiten. Dies folgt aus der Tatsache, daß dem Reiche die Eisenbahnhoheit in erster
Linie zusteht, und deckt sich auch mit der Entstehungsgeschichte der fraglichen Gesetzes-
bestimmung. Dies kann indessen nur insoweit gelten, als die Verkehrsinteressen, nicht
auch insoweit, als Eingriffe in den „Geschäftsbereich der Landespolizei“ in
Frage kommen. Das Reich kann und darf sich nicht über die landespolizeilichen
Gesetzesbestimmungen hinwegsetzen.
VI. Betreffs der Enteignung ist nunmehr als unzweifelhaft festzuhalten,
daß die kaiserliche Verordnung, welche ihre Zulässigkeit ausspricht, vom Reichskanzler
und nicht vom Statthalter gegenzuzeichnen ist; insofern ist die Enteignung Reichs-
sache. Zu den obrigkeitlichen Rechten, die dem Reiche an den Reichseisenbahnen in
Elsaß-Lothringen zustehen, gehören, wie die Begründung zu § 21 V. G. her-
vorhebt, zunächst die Befugnisse, welche durch die Eisenbahnbau= und betriebsordnung
vom 4. November 1904 (R.G.Bl. S. 387) und durch die Eisenbahnverkehrsordnung
vom 23. Dezember 1908 (R.G. Bl. 1909 S. 93) den Aufsichtsbehörden und Landes-
aufsichtsbehörden 18 übertragen sind. Neben dem Eisenbahnunternehmungs-
15 Bisher hat der Bundesrat an ihn cgelangte Eisenbahnstreitigeeiten abgesehen von dem
Falle des § 24 II elf.-I. V.G., nicht selbst entschieden. Seydel, N.V. zu Art. 76 Note I. Ein
2 ergleich zwischen den beteiligten Behörden dürfte in der Regel der beste Ausweg sein.
1° Nach der Begründung (S. 28) kommen als Entscheidungen von allgemeinem Verkehrs-
interesse insbesondere in Betracht die Entschließungen darüber, ob eine Bahn gebaut werden soll
oder nicht, ob die Bahn vom Reiche zu bauen ist oder einem Unternehmer konzessioniert werden
kann, ob die Linie eingleisig oder zweigleisig, für den Personen-, den Güterverkehr oder für beides
herzustellen ist, wo und in welchem Umsang Stationen eingerichtet werden sollen u. dgl. Nicht als
Fragen des allgemeinen Verkehrsinteresses sind dagegen anzusehen Maßnahmen, die lediglich zur
Verbesserung des inneren Eisenbahnbetriebes dienen, wie beispielsweise der Bau einer Verbindungs-
kurve oder die Verbesserung der Krümmungs= oder Neigungsverhältnisse auf einer bestehenden Bahn-
linie usw. Wo aber eine Eisenbahnanlage gieichteitig auch den von den Lanbesbehörden wahr-
zunehmenden Aufgaben dient, wie dies insbesondere bei Wegeüber= und zunterführungen oder bei
der Kreuzung mit öffentlichen Wasserläufen der Fall ist, wird — in Aufrechterhaltung des geltenden
Rechtszustandes — der Reichsverwaltung aufzugeben sein, vor der Planfeststellung für solche doppelten
Zwecen, dienende Esenkahnanogen die mitbeteiligten Landesbehörden zu hören.
egr. zu a. E.
18 Grund der Vorschrift in § 72 der Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutsch-