Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

Fünfter Teil. 
Das Staatskirchenrecht. 
Erster Abschnitt. Allgemeines. 
8 83. Die religiöse Freiheit. J. Durch 8 25 des Verfassungsgesetzes von 
1911 ist in Elsaß-Lothringen das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869 (R. G. Bl. S. 229), 
betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher 
Beziehung, eingeführt worden. Nach dem Wortlaut dieses Gesetzes werden „alle noch 
bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Be- 
schränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben. Insbesondere 
soll die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde= und Kandesvertretung und zur 
Bekleidung öffentlicher Amter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein“. Diese Vor- 
schrift! bringt für das Reichsland kein materiell neues Recht. Bereits der Artikel 10 
der Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789 bestimmte, daß niemand wegen 
seiner religiösen Uberzeugung beunruhigt werden dürfe, falls nur durch die Ausübung 
derselben die öffentliche Ordnung nicht gestört würde. Das Dekret vom 24. Dezember 
1789 sprach sodann den Nicht katholiken das aktive und passive Wahlrecht sowie die 
Fähigkeit zur Bekleidung aller öffentlichen Amter zu. Man faßt diese und ähnliche Grund- 
sätze gewöhnlich unter dem Begriff der Religions= oder Gewissensfreiheit 
zusammen. Der moderne Staat beeinflußt weder unmittelbar noch mittelbar die Wahl 
und die Ausübung des religiösen Bekenntnisses seiner Bürger 2. 
Die religiöse Freiheit geht jedoch nicht soweit, daß sich der einzelne unter Be- 
rufung auf dieselbe über gesetzliche Vorschriften hinwegsetzen könnte. So müssen auch 
die im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erlassenen Vorschriften, ins- 
besondere die Bestimmungen des Vereins= und Versammlungsrechts bei der Ausübung 
des Glaubens beachtet werden 0f. Durch § 24 R.V. G. ist das gesamte kirchliche und 
religiöse Versammlungswesen dem Reichsrecht entzogen; die landesrechtlichen Be- 
stimmungen gegenüber Versammlungen, in denen Religionsübungen abgehalten werden, 
sind unberührt geblieben ". Ferner ist niemand befugt, sich auf Grund seiner religiösen 
Überzeugungen gewissen gesetzlichen Verpflichtungen zu entziehen '. 
II. Hinsichtlich der öffentlichen Ausübung der Glaubensbekenntnisse ist zu unter- 
scheiden zwischen den vom Staat anerkannten und den nicht anerkannten Religions- 
gesellschaften. Gemäß der durch das Kultusverfassungsgesetz vom 18. germ. X fest- 
gestellten organischen Artikel gehören zu den ersteren die katholische Kirche #, die Kirche 
(§S 831 1 Sie wurde erst in der Neichstagskommission eingestellt, im Entwurf zum Verfassungsgesetz 
war si-, nicht enthalten. K. B. 43 f. 
2 Uber den Austritt aus einer Religionsgeiellschaft bestehen keine gesetzlichen Bestimmungen. 
à Vgl. mein Reichsvereinsgesetz zu § 24. Das Dekret v. 19. März 1859 (Bull. des Lois 
Série XI Nr. 6416) ist durch § 25 elsf.-I. Vereinsgesetz v. 21. Juni 1905 (G.Bl. S. 33) nicht auf- 
gehoben worden. VBgl. Petri, Komm., S. 33; Molitor-Stieve S. 31 N. I. 
* Val. pr. O. V.G. v. 24. Mai 1912. D.J. Z. S. 148. Uber Genehmigungs= bzw. Anzeigepslicht 
bei einem Kirchlichen Bittgang“, der sich in Wirklichkeit als öffentliche Versammlung darstellt. R 
Str.) v. 19. 8 1912, D. J.3. 1912 S. 152. 
6* So B. hinsichtlich der Zeugnis- und Eidespflicht. Bezüglich der Mennoniten in E.-L. 
val. G. (St r 25. März 1912, E. 46 S. 41, E.G. Str. P. O. § 6 
* Das Konkordat v. 26. meseidor IX, ratifziert am 23. fructidor IX, nebst den dazu er- 
lassenen organischen Bestimmungen wmde durch das obenerwähnte Germinalgesetz als Staatsgesetze
	        
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