Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 10 Der Kaiser. J 37 
Kaiser allein auf Grund des Art. 68 R.V. in Verbindung mit dem preußischen 
Gesetz vom 4. Juli 1851 (Gesetzsammlung f. Pr. 1851 S. 541) verhängen 14. Bis 
zum Erlaß eines für das gesamte Reichsgebiet geltenden Gesetzes über den Belagerungs- 
zustand ist in Elsaß-Lothringen auch noch das Gesetz vom 30. Mai 1892 über die 
Vorbereitung des Kriegszustandes (R. G. Bl. S. 667) in Geltung 15. Da- 
nach ist jeder, mindestens in der Dienststellung als Stabsoffizier befindliche oberste 
Militärbefehlshaber berechtigt, für den Fall eines Krieges oder im Fall eines unmittelbar 
drohenden Angriffs zum Zwecke der Verteidigung in dem ihm unterstellten Landesteil 
vorläufig durch Erklärung gegenüber der Zivilverwaltungsbehörde, die ortsüblich 
bekanntzumachen ist, die Ausübungs der vollziehenden Gewalt zu übernehmen. Die 
Entscheidung des Kaisers über die Verhängung des Belagerungszustands ist unverzüglich 
einzuholen, und über die getroffene Verfügung muß dem Bundestag und dem Reichstag 
sofort (d. h. bei dem nächsten Zusammentreten) Rechenschaft gegeben werden. Für den 
Fall innerer Unruhen gilt das Gesetz von 1892 nicht. 
II. Das Begnadigungsrecht. Unter den landesherrlichen Befugnissen des 
Kaisers verdient insbesondere das Begnadigungsrecht hervorgehoben zu werden. Die 
Begnadigung ist die Beseitigung der Rechtsfolgen einer Straftat durch Verfügung 
der Staatsgewalt 16. Man unterscheidet !' die Begnadigung im engeren Sinne, 
d. h. den Akt der Staatsgewalt, durch den im einzelnen Falle gänzlich oder teilweise 
auf die Vollstreckung der erkannten Strafe verzichtet oder die Strafe gemildert wird, 
weiterhin die Amnestie, wenn sich die Verfügung der Staatsgewalt auf eine ganze 
Kategorie von Angeschuldigten oder von Verurteilten erstreckt, und drittens die 
Abolition, d. h. Niederschlagung, wenn der Staatsakt die Einleitung, die Fort- 
führung oder die Beendigung eines Strafverfahrens verhindert. Die letztere Art der 
Begnadigung ist als unzulässiger Eingriff in die Rechtsprechung nicht gestattet. 
Träger des Begnadigungsrechts ist bei Begnadigungen im engeren 
Sinne der Kaiser, und zwar zunächst in Reichsangelegenheiten, dann aber auch speziell 
für Elsaß-Lothringen in allen Sachen, in denen ein elsaß-lothringisches Gericht in erster 
enstanz erkannt hat (Tit. III § 9 der franz. Verf. vom 14. Januar 1852 und Art. 1 
enatuskonsult vom 25. Dezember 1852 in Verb. mit § 3 Ges. vom 9. Juni 1871 18a). 
Auch das Rehabilitationsrechtts nach §§ 619 f. der franz. Strafprozeß-O. steht 
14 Durch Art. 68 R.V. ist jedenfalls die für Preußen ehedem wichtige Streitfrage, ob neben 
dem König auch noch gewisse pierhiische Organe (Staatsminister, militärische Befehlshaber) die Be- 
fugnis zur Verhängung des Belagerungszustandes haben, in verneinendem Sinne gelöt. 
as die äußere Form der Verkündigung des Belagerungszustandes angeht, so genügt 
es, wenn die Erklärung im Reichsgesehblatt abgedruckt und an irgendeinem öffentlichen Ort durch 
Trommelanschlag oder Trompetensignale zur allgemeinen Kenntnis gebracht ist. Der Landtag in 
Preußen, der Reichstag in Deutschland, kommen für die Verhängung des Belagerungszustandes nur 
so weit in Betracht, als sie ein allgemeines Informations= und Sberwachungsrecht hinsichtlich der 
öffentlichen Vorgänge haben. Ein Genehmigungs= oder Zustimmungerecht steht keiner dieser beiden 
Körperschaften zu. Haldy a. a. O. 
15 Dagegen find die außerordentlichen Gewalten des Statthalters (§ 29 d. Ges. v. 4. Juli 
1879 in Verb. mit § 10 d. Ges. v. 30. Dez. 1871, Diktaturparagraph) durch Gesetz v. 18. Juni 1902 
(RK.G. Bl. S. 231) aufgehoben. 
16 v. Stenge -Fleischmann S. 374. Die Begnadigung ist kein Akt der Gesetzgebung, auch 
kein richterlicher Akt, sondern ein Verwaltungakt, ein eigentümlich gearteter Befehl (Laband III 
S. 484 f.; Meyer-Anschütz S. 640; R.G.E. (Str.) 28 S. 419), nicht dagegen ein Verzicht der 
Staatsgewalt (so v. Liszt, Lehrbuch des Strafrechts, 17. A., § 75; R. G.E. [Str.] 33 S. 204). 
7 So auch Art. 1 des Sen. Beschl. v. 25. Dez. 1852: „L'iempereur a le droit de faire 
gräce et d'’accorder d’amnistie." 
18 Heimberger, Das landesherrliche Abolitionsrecht, (1901) S. 62 f. 
18 a Nach Art. 2 d. Ges. v. 30. Aug. 1871, betr. Einführung d. Str. G. B. in E.-L., welcher im 
woffentlichen übereinstimmt mit § 2 E.G. Str. G. B. v. B1. Mai 1870, sind mit dem 1. Okt. 1871 
alle in E.-L. geltenden Strafbestimmungen insoweit außer Kraft getreten, als sie Gegenstand des 
R. Str. G. B. find. Zu den durch das R. Str. G. B. nicht berührten Materien gehört das Begnadigungs- 
recht. R.G.E. (Str.) 10 S. 221: 24 S. 315. 
½½ Die Wirkungen der Begnadigung und der Amnestie find die gleichen. Die Begnadigung 
beseitigt nicht nur die erkannten Leibes., Freiheits= oder Geldstrafen, sondern auch die Aberkennung 
oder Beschränkung der bürgerlichen Ehrenrechte. Die Rehabilitation dagegen kann allenfalls die Wieder- 
verleihung der bürgerlichen Ehrenrechte bewirken; trotzdem dürfen Rehabilitation und Begnadigung 
 
	        
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