8 12 Der taiserliche Statthalter. 47
bestimmt sich für Elsaß-Lothringen grundsätzlich in der gleichen Weise wie in den
Bundesstaaten. Alle Angelegenheiten, welche zur verfassungsmäßigen Zuständigkeit des
Reiches gehören, können keine Landesangelegenheiten sein. Zu diesen Reichsangelegen-
heiten gehört nunmehr nach der ausdrücklichen Regelung des § 24 V.G. auch der Bau
und Betrieb von Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen. Steht bezüglich einer Angelegenheit
die Regelung durch das Reich offen, macht das Reich aber von seiner Befugnis keinen
Gebrauch, so bleibt die Angelegenheit insolange Landesangelegenheit. Bezüglich der
Militärangelegenheiten gilt etwas Besonderes; da Elsaß-Lothringen kein besonderes
Kontingent hat, werden seine Wehrpflichtigen in preußische Truppenteile eingestellt, und
die Militärverwaltung wird als Teil der preußischen Militärverwaltung durch das
preußische Kriegsministerium geführt. Nur insoweit andere Behörden als der preußische
Kriegsminister zur Entscheidung über Militärangelegenheiten berufen sind, gehören fie
zum Amtsbereich des Statthalters. Auf Grund der Verordnung vom 26. März 1872
Nr. 1 (G. Bl. 1872 S. 573) steht dem Statthalter die oberste Leitung der Ersatz-
geschäfte gemeinschaftlich mit dem preußischen Kriegsministerium zu.
Soweit der Statthalter als Minister tätig ist, insbesondere im Falle des § 2
Abs. 4 V.G., trifft ihn für den Bereich der Landesangelegenheiten in gleicher Weise
die parlamentarische Verantwortlichkeit wie im Reiche den Reichskanzler
(Art. 17 R.V.). Diese Verantwortlichkeit besteht aber nicht mehr wie früher dem
Reichstag, sondern nur dem Landtage gegenüber, mit alleiniger Ausnahme des Vor-
behalts in Art. III S. 2. V.G. . Die Verantwortlichkeit, die sich sowohl auf die
Gesetzmäßigkeit wie die Zweckmäßigkeit der getroffenen Anordnungen erstreckt, zieht
Rechts wirkungen in keiner Weise nach sich; es gibt in Elsaß-Lothringen ebensowenig
wie im Reich einen Staatsgerichtshof und eine Ministeranklage 10; die Verantwortlich-
keit ist eben, wie schon eingangs hervorgehoben, eine politische oder parlamentarische.
Gelingt es jedoch dem Statthalter nicht, dem Landtage gegenüber sein Verhalten zu
rechtfertigen, so hat dies keineswegs die Folge, daß seine Stellung als erschüttert gilt,
oder daß er abdanken muß; vielmehr hängt nur vom Kaiser die Berufung und Abberufung
des Statthalters ab. Immerhin wird man einem Mißtrauensvotum des Landtags
eine gewisse politische Bedeutung nicht versagen können.
Der Statthalter muß dem Landtage nicht Rede stehen, er hat aber das Rechr,
bei den Verhandlungen zugegen zu sein, und muß auf Verlangen jederzeit gehört werden,
soweit seine Stellung als Landesminister in Frage kommt. Wenn auch § 17 V.G.
dieses Recht ausdrücklich nur den Mitgliedern des Ministeriums und den zu ihrer
Vertretung abgeordneten Beamten zuweist, so wird man es doch auch dem Statthalter
auf Grund seiner ministeriellen Verantwortlichkeit zubilligen müssen 11.
An den Sitzungen des früheren Landesausschusses haben die Statthalter tatsächlich
offiziell nie teilgenommen, sondern haben sich durch den jeweiligen Staatssekretär ver-
treten lassen. Diese Zurückhaltung hat ihren Grund in der eigenartigen Doppelstellung
des Statthalters, der zugleich Minister und-Träger landesherrlicher Befugnisse ist. Es
ist nicht zu verkennen, daß gerade mit Rücksicht auf letztere Eigenschaft es einem gewissen
Taktgefühl entspringt, wenn der Statthalter als Vertreter des Trägers der Staats-
gewalt sich nicht aktiv an den parlamentarischen Kämpfen beteiligt 12.
* Unrichtig Vogels, D.J.3. 1911 S. 982. #
1% Eine solche Einrichtung kann durch Landesgesetz auch nicht getroffen werden, da hierdurch
mittelbar in die reichsgesetzlich begründeten Befugnisse des Kaisers (Abberufungsrecht) eingegriffen
würde. Laband II S. 248.
11 And. Ans. Schulze, V. G. S. 81. Die Unterscheidung Schulzes zwischen Legitimierung
und Berechtigung ist wohl nicht begründet.
12 Die Frage wurde im Reichstage eingeher erörtert und schließlich seitens der verbündeten
Regierungen folgende Erklärung abgegeben: „Mit der Frage, ob der Statthalter verpflichtet sei, dem
künftigen Landtage Rede zu stehen, werde eine sehr schwierige staatsrechtliche Frage angeschnitten.
Rechtlich liege die Verantwortlichkeitsfrage genau so wie im Reiche, da der Statthalter gewisser-
maßen ein Spezialreichskanzler für Elsaß-Lothringen sei. Ebensowenig wie im Reiche bestehe auch
in Elsaß-Lothringen eine geschriebene Verpflichtung darüber, daß der Statthalter dem Parlament
persönlich Rede stehen müsse. Ebenso wie der Reichskanzler sich durch die Staatssekretäre vertreten
lassen könne, könne sich der Statthalter durch den ihm nachgeordneten Staatssekretär vertreten lassen.