48 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 12
Neben der parlamentarischen Verantwortlichkeit besteht analog der Stellung des
Reichskanzlers eine persönliche Verantwortlichkeit dem Kaiser gegenüber. (Laband 1
S. 364 f.
nel. 2 S. 2 §2 des V.G. ist besonders hervorgehoben das Recht des Statthalters,
die in Elsaß-Lothringen stehenden Truppen zu polizeilichen Zwecken in An-
spruch zu nehmen; dies ist deshalb geschehen, weil nach früherem Rechte Zweifel
bestanden, ob dieses Recht dem Statthalter oder dem Ministerium als Rechtsnachfolger
des Oberpräfidenten zustehe 18.
2. Der Statthalter als Träger landesherrlicher Befugnisse.
Nach § 3 V. G. kann der Kaiser dem Statthalter landesherrliche Befugnisse über-
tragen, deren Umfang durch kaiserliche Verordnung bestimmt wird. Diese Bestimmung
entspricht dem durch § 27 V. G. aufgehobenen § 1 des Gesetzes vom 4. Juli 1879 mit
der Maßgabe, daß jetzt ausdrücklich bestimmt ist, daß die Verordnung vom Reichskanzler
und nicht vom Statthalter gegenzuzeichnen ist 11. Die Übertragung der fraglichen Be-
fugnisse verleiht dem Statthalter eine regentenähnliche Stellung; innerhalb der Grenzen
dieser Befugnisse handelt er frei von parlamentarischer Verantwortlichkeit, weshalb in
diesen Fällen die betreffenden Staatsakte der Gegenzeichnung des Staatssekretärs be-
dürfen. Die Übertragung der landesherrlichen Befugnisse gilt nur der Person und
nicht dem Amt als solchen; mit dem Wechsel der Person des Statthalters hat not-
wendigerweise auf den Nachfolger eine Neuübertragung stattzufinden. Aber auch was
die Person des übertragenden Landesherrn angeht, handelt es sich um eine höchst-
persönliche Angelegenheit. Im Falle des Todes des Monarchen oder des Eintritts
einer Regentschaft bedarf es einer erneuten Übertragung.
Die Bestimmung des V. G. bildet nicht etwa etwas Absonderliches. Die
Möglichkeit der Übertragung landesherrlicher Befugnisse durch den Herrscher auf einen
dritten Vertreter ist eine an sich gangbare Rechtserscheinung. Der Kaiser könnte
seine landesherrlichen Befugnisse ebensogut auf eine andere Person, z. B. einen könig-
lichen Prinzen übertragen, ohne daß derselbe die Statthalterschaft einnehmen müßte 15.
Wenn das Gesetz im § 3 zit. nur den Statthalter erwähnt, so hat es hierbei den
Normalfall im Auge, der auch der einzig praktische ist; denn die Übertragung landes-
herrlicher Befugnisse auf eine vom Statthalter verschiedene Person hätte eigentlich die
Die Wichtigkeit der Angelegenheit, um die es sich handle, sei im allgemeinen das entscheidende
Moment für die Frage, ob der Reichskanzler selbst im Reichstage das Wort nehme oder sich vertreten
lasse. Die Praxis habe sich im Reiche und in Elsaß-Lothringen verschieden entwickelt; während der
Reichskanzler bei wichtigen Angelegenheiten regelmäßig selbst erscheine, habe der Statthalter an den
Sisungen des Landesausschusses nie teilgenommen. Das schließe aber nicht aus, daß der Statthalter
ersönlich im Landtage erscheinen und das Wort ergreifen werde, wenn es ihm opportun erscheine.
enn keiner der bisherigen Statthalter dies getan habe, so dürfe man wohl annehmen, daß sie dies
mit Rücksicht auf die ihnen übertragenen landesherrlichen Befugnisse unterlassen hätten. Es sei aber
nicht ausgeschlossen, daß künftighin ein Statthalter daen bereit sein werde, sich persönlich mit dem
Landtage auseinanderzusetzen. Staatsrechtlich und praktisch sei es gleichgültig, ob der Statthalter
oder sein Staatssekretär dem Parlament Rede stehe, da beide in politischen Angelegenheiten derselben
Meinung sein müßten. Die verbündeten Regierungen seien nicht in der Lage, eine bindende Er-
klärung darüber abzugeben, daß der Statthalter dem Landtage in Zukunft Rede stehen werde.“
(Komm. Ber. 18, 19.)
13 Ebenso wie nach N.V. Art. 66 Abs. 2 die Bundesfürsten das Recht haben, nicht bloß die
eigenen, sondern auch alle anderen Truppenteile des Reichsheeres, die sich in ihrem Landesgebiet
besinder, zu polizeilichen Avecken zu requirieren, so hat der Statthalter nach § 2 Abs. 2 S. 2 das
Truppenrequisitionsrecht. Dieses Recht ist, abgesehen von der Bestimmung, daß es nur zu polizeilichen
Zwecken in Anwendung kommen kann, keinen Beschränkungen unterworfen. Theoretisch könnte der
Statthalter daher alle in E.-L. stehenden Truppen requirieren; ein Widerspruchsrecht kommt den
in E.-L stehenden beiden kommandierenden Generalen nicht zu.
1 Es ist dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es sich um eine Reichsangelegenheit handelt.
Der Reichskanzler ist dem Reichstag gegenüber für den Umfang der Delegation verantwortlich.
(Komm.Ber. S. 18.) Der Vorschlag der Regierung, die Delegation der landesherrlichen Befugnisse
im Gegensatz zur bisherigen Praxis als Landesangelegenheit zu behandeln und für sie daher die
Gegenzeichnung des Statthalters 4 verlangen, ist von der Reichstagskommission abgelehnt worden.
(Mot. S. 10.) Die betreffende Kaiserliche Verordnung muß daher wie bisher, nachdem sie die
Gegenzeichnung des Reichskanzlers erhalten hat, im Reichsgesetzblatt verkündet werden.
½ Rehm, Vortr., S. 22.