Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

58 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 14 
  
Seydels#'2 Ansicht von der staatlichen Natur des Reichslandes kann nur der 
folgen, der sich seiner Auffassung, das Reich sei ein Staatenbund, anschließen will. 
Jedenfalls befinden sich diejenigen Schriftsteller, die behaupten, Elsaß-Lothringen 
sei kein Staat, bei weitem in der Überzahl. Da indessen mit der bloßen Negation 
des Staatsbegriffs an sich noch wenig gewonnen ist, versuchen die in Frage kommenden 
Autoren mit mehr oder weniger Erfolg das Reichsland unter eine bestimmte juristische 
Kategorie zu bringen, oder sie suchen mangels solcher nach staatsrechtlichen Analogien 
anderer Zeiten und anderer Länder. Am rückständigsten ist die Auffassung Haenelss, 
der ebenso wie Zorn ½ und Arndt 15, Elsaß-Lothringen sogar die Eigenschaft einer 
juristischen Person des Privatrechts abspricht; das Reichsland soll nur ein geographischer 
Verwaltungsbezirk des Reiches ohne eigene Hoheits= und Vermögensrechte sein. Eine 
Widerlegung dieser Theorie erübrigt sich durch den Hinweis darauf, daß Elsaß-Lothringen 
Schulden hat, die mit denen des Reiches nicht identisch sind, und daß ferner das 
Reich verschiedentlich in rechtsgeschäftliche Beziehungen zum Reichsland getreten ist. 
Labandê räumt Elsaß-Lothringen nur die Stellung einer juristischen 
Person des Privatrechts ein; er sieht in dem Reichsland ein Subjekt von Ver- 
mögensrechten, doch nicht von Herrschaftsrechten und kommt so zur Negation der 
Existenz Elsaß-Lothringens als juristische Person des öffentlichen Rechts. Das Un- 
zutreffende dieser Theorie erhellt aus dem Umstande, daß das Reichsland gegenüber 
Gemeinden und Bezirken der höher organisierte Verband ist; sind nun Gemeinden und 
Bezirke juristische Personen des öffentlichen Rechts, so muß der sie insgesamt umfassende 
und mit (delegierten oder nichtdelegierten) Herrschaftsrechten ihnen gegenüber; aus- 
gestattete höhere Verband, das Reichsland, selber eine juristische Person des öffentlichen 
Rechtes sein. 
Letzteres wird auch ohne weiteres eingeräumt von Loening 17, H. Schulzes 
und Georg Meyer ½, die in Elsaß-Lothringen einen Selbstverwaltungskörper 
mit eigenen Herrschaftsrechten, einen autonomen Kommunalverband, d. h. eine 
juristische Person des öffentlichen Rechts erblicken. Auch diese Theorie erweist sich 
jedoch bei näherer Betrachtung als durchaus unbefriedigend; Elsaß-Lothringen hatte schon 
vor der Einführung der Verfassung eine Stellung, die diejenige einer Provinz weit über- 
ragte; es sei nur an den Landesausschuß erinnert, der nicht den Charakter eines 
Provinziallandtages hatte 20, ferner an die eigene elsaß-lothringische Landesgesetzgebung usw. 
Die mehr oder weniger gelungenen Versuche, ein Mittelding zwischen Staat und 
Provinz zu konstruieren, das der staatsrechtlichen Stellung Elsaß-Lothringens entsprechen 
soll, beginnen mit der eingangs erwähnten Abhandlung Jellineks über Staats- 
fragmente. Jellinek (a. a. O. S. 285) sieht in dem Landesausschuß als Organ 
der Gesetzgebung ein Staatsorgan und folgert wieder aus dem Vorhandensein eines 
solchen auf das Vorliegen eines Staatsfragments oder auch, wie er sagt, eines 
„Landes“; das Unlogische dieser Folgerungsweise springt indes in die Augen: der 
vereinigen nach Analogie des Eigentümers, der mehrere Eigentumsrechte haben könne. Indessen ist 
dies eine ganz unzulässige privatrechtliche Analogie, die auf staatsrechtliche Verhältnisse nicht an- 
wendbrr ist. (Vgl. Jellinek, Allg. Staatslehre, 1900 S. 449, und E. Mayer, Off. Arch. 11 
S. 
12 In der 3. f. d. ges. Staatswissenschaft 1872 S. 252, serner in seinem Kommentar zur 
Reichsverfassung 1897 S. 39. 
13 Deutsches Staatsrecht (1892) Bd. I S 831—835. 
14 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. A. (1895), Bd. I S. 557 Anm. 6, 558, 561. 
15 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches (1901) S. 745—746. 
16 Staatsrecht, 4. A., (1901) II S. 214, IV S. 334; 5. A., II S. 2. Laband angeschlesen 
hat sich Hamburger, Die staatsrechtlichen Besonderheiten der Stellung des Reichslandes E.-L., 
Heft 5 der von Brie herausgeg. Abhandl. zum Staats= u. Verw. R., 1901 S. 50 f. 
17 Lehrb. d. d. Verwaltungsrechts (1884) S 77. 
18 Lehrb. d. d. Staatsrechts II (1886) S. 374. 
19 Lehrb. d. d. Staatsrechts, 3. A., (1891) § 138 S. 392 f.; ebenso Meyer-Anschütz, 
¾z 05 . 472 f. Vgl. ferner Preuß, Gemeinde, Staat und Reich als Gebietskörperschaften, 
S. 
20 Vgl. Jellinek, Staatsfragmente, S. 285 f.
	        
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