Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

64 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 15 
  
  
Elsaß-Lothringen hat schließlich auch in Zukunft keine völkerrechtliche Per- 
sönlichkeit. Es darf keine Gesandschaften unterhalten oder in seinen Grenzen auf- 
nehmen, ja, nicht einmal Konsulate sind in Elsaß-Lothringen zugelassen 17. Völker- 
rechtliche Verträge mit deutschen oder ausländischen Staaten darf es nur insoweit 
abschließen, als das Reich dies stillschweigend oder ausdrücklich genehmigt. Das Reich 
hat Elsaß-Lothringen in dieser Beziehung bisher einen erheblichen Spielraum gelassen, 
und dies hat auch, soweit Verträge mit deutschen Staaten oder solche mit ausländischen 
Staaten über wirtschaftliche Fragen in Betracht kommen, gar keine Bedenken "58. In 
allen diesen Fällen hat aber die reichsländische Regierung nur rein äußerlich betrachtet 
selbständig, in Wirklichkeit nur im Namen des Reiches gehandelt. 
Was die Kirchenhoheit anlangt, so handelt Elsaß-Lothringen, soweit es sich. 
um innere Angelegenheiten, z. B. Besetzung eines Bischofsstuhles, handelt, ebenfalls selb- 
ständig; bei Verhandlungen mit dem Vatikan übernimmt jedoch der Reichskanzler die 
Vermittlung ꝰ. 
Überblickt man an dieser Stelle nochmals den Entwicklungsgang, den die elsaß- 
lothringische Verfassung durchlaufen hat, so muß man sagen, daß der Fortschritt, den 
das Gesetz vom 31. Mai 1911 gebracht hat, ein ganz enormer ist. Der Wunsch der 
Elsaß-Lothringer nach weiterer Verselbständigung ihres Landes, die schließlich zur 
völligen Gleichstellung des Reichslandes mit den deutschen Einzelstaaten führen muß, 
macht sich indessen noch weiter in voller Lebendigkeit geltend. Als deutliches Symptom 
dieser Bestrebungen zeigt sich das Verlangen nach eigenen Landesfarben. Bis jetzt 
führt Elsaß-Lothringen gemäß dem Allerhöchsten Erlaß vom 22. Mai 1893 eine 
Dienstflagge in den Reichsfarben. Da die Flagge ein äußeres Zeichen der 
Staatshoheit darstellt und infolgedessen, sofern nicht durch Verfassung oder Gesetz ein 
anderes angeordnet ist, durch den Träger der Staatsgewalt zu bestimmen ist, so steht 
nur dem Kaiser das Recht zu, eine besondere elsaß-lothringische Landesflagge zu be- 
stimmen. Jedenfalls kann nach der derzeitigen Lage der Verfassung der Weg der 
Landesgesetzgebung nicht beschritten werden, um ein besonderes Hoheitszeichen für das 
Land zu schaffen. 
Vierter Abschnitt. Die Behördenordnung. 
§ 15. Allgemeines. Die Behördenordnung in Elsaß-Lothringen ist eine hier- 
archische; die staffelweise einander übergeordneten Behörden zentralisieren sich schließlich 
in der Person des Kaisers, der die gesamte in seiner Hand vereinigte Staatsgewalt 
ausübt (§ 1 V. G.). Er hat die Oberleitung auf dem ganzen Gebiete der Staatstätigkeit, 
er ist der chef du pouvoir exécutif; er vollzieht aber nicht selbst diese Gewalt, sondern 
regiert durch den (die) Minister 1. Das Staatsoberhaupt selbst ist keine Instanz über 
dem Minister, es ist überhaupt keine Behörde im eigentlichen Sinne?; eine weitere 
Folge hiervon ist seine Unverantwortlichkeit. 
*" Dies aus politischen Rücksichten; so besorgt z. B. das amerikanische Konsulat in Kehl auch 
die Geschäfte für Elsaß-Lothringen. 
“*8 Es seien hier erwähnt verschiedenartige Abkommen mit Baden und der Schweiz über die 
Anwendung gleichartiger Bestimmungen über den Fischfang, val. Filchbach= Fischereigesetz, S. 174, 
ferner die nicht veröffentlichten Abkommen mit Baden, Hessen, Württemberg und Preutzen betr. die 
Unterstützung der Angehörigen dieser Staaten. Vgl. Verhdlgn. des Landesausschusses v. 8. März- 
1899, Sten. Ber. S. 1560 — 1561, und v 28. Febr. 1900, Sten. Ber. S. 198, ferner bei 
Schwander, Das Armenrecht in E.-L., 1899 S. 180; die Nereinbarung mit Baden. Bayern, 
Hessen, Preußen und Niederlande, betr. die Abänderung der Rheinschiffahrtsakte, v. 4. Juli 1898 
(G. Bl. 1900 S. 180); die bereinkunft zwischen Baden. Bayern und E-L., betr. die Rheinregulierung, 
v. 28. Nov. 1901 (Landesausschußverh. v. 5. März 1902, Sten. Ber. S. 303). Vgl. weiterhin das 
reichsländ. Gesetz v. 25. April 1910, welches den Statthalter ermächtigte, mit Preußen eine Ver- 
einbarung über die Zulassung der preußischen Klassenlotterie in E.-L. zu treffen. 
*3. B. bei der Gründung der katholisch-theologischen Fakultät: Vertrag v. 5. Dez. 1902. 
(§ 15) 1 Verfass. v. 22. frim. VIII Art. 54; Verfass. v. 14. Jan. 1852 Art. 3; Dufour I N. 124 
O. Mayer, Franz. V.R., S. 35. 
2 And. Ans. die meisten französischen Schriftsteller; vgl. Aucoc I S. 50.
	        
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