8 16 Die Einrichtung der inneren Verwaltung. 67
Unter deutscher Verwaltung ist der umfassende Machtkreis der Bezirkspräsidenten immer
mehr eingeschränkt worden. Zunächst wurde das Bergwesen durch Gesetz vom 14. Juli 1871 den
Bezirkspräsidenten gänzlich entzogen; es gehört jetzt zur Zuständigkeit des Ministeriums. Die Ver-
waltung der Zölle und indirekten Steuern sowie des Enregistrements (Verkehrssteuern) wurde durch
Gesetz vom 30. Dezember 1871 auf den Direktor der Zölle und indirekten Steuern und auf den
später eingesetzten Direktor der Verkehrssteuern übertragen. Die Strombauten des Rheins und der
Mosel sowie die Kanäle wurden zunächst dem Oberpräsidenten und später dem Ministerium zu-
gewiesen. Durch Gesetz vom 27. Februar 1884 (G.Bl. S. 2) wurde die Direktion der direkten
Steuern dem Ministerium untergeordnet. Das Etatgesetz vom 30. März 1896 (G.Bl. S. 5) § 12
schränkte die Befugnisse der Bezirkspräfidenten bezüglich der direkten Steuern noch weiter ein. Ebenso
wurden die Befugnisse der Bezirkspräsidenten bei der Verwaltung und Beaussichtigung der Straf-
anstalten sowie der Bezirks= und Untersuchungsgefängnisse durch Gesetz vom 19. April 1886 (G. Bl.
S. 59) auf das Ministerium übertragen. Das Gesetz vom 22. April 1902 (G. Bl. S. 31) veränderte
die Zuständigkeit der Bezirkspräfidenten in bezug auf das Wasser= und Meliorationswesen“".
Weiter ist die Kompetenz der Bezirkspräsidenten durch Abgabe einiger ihrer Befugnisse an
die Kreisdirektoren erheblich eingeschränkt worden 5. ,
III. Durch Art. 3 des Pluviosegesetzes ist den Bezirkspräsidenten für den Bereich
ihrer Bezirke ein gleiches Tätigkeitsgebiet eingeräumt wie dem Statthalter und dem
Ministerium für das ganze Land ". Behalten sich letztere Behörden in allgemeiner
Form oder für Einzelfälle ein gewisses Feld von Aufgaben vor, so ist damit die Tätig-
keit des Bezirkspräsidenten insoweit ausgeschlossen. Dieses Recht des Statthalters und
des Ministeriums gilt aber nur für die aus Art. 3 des Pluviosegesetzes abgeleiteten,
nicht für diejenigen Befugnisse, welche auf anderen Gesetzen, insbesondere den De-
zentralisationsdekreten vom 25. März 1852 und 13. April 18617 beruhen.
Zur eigenen Zuständigkeit der Bezirkspräsidenten gehört vor allem eine umfang-
reiche Polizeigewalt, die insbesondere in dem Verordnungsrecht zum Ausdruck
kommt. Man urnterscheidet die Zuständigkeit auf Grund der allgemeinen Delegation
des Gesetzes vom Januar 1790 (Dekret der Nationalversammlung vom 22. Dezember
1789 Avant-Bull. 1 S. 52) Art. 2, Ziff. 9, welche Bestimmung die Bezirkspräsidenten
(Präfekten) ermächtigt, alle zur Erhaltung „de la süreté, de la salubrité et de la
tranquillité publique“ erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Diese allgemeine Ver-
ordnungsbefugnis ist dem Bezirkspräsidenten auch nach dem Erlaß des Gesetzes vom
18. Juli 1837 bezüglich derjenigen Angelegenheiten, welche dieses Gesetz der Ortspolizei
der Bürgermeister zuweist, verblieben “#. Danach kann der Bezirkspräsident kraft seiner
Stellung in der amtlichen Hierarchie Verordnungen für den Bezirk über alle Gegen-
* Demgegenüber fallen die dem Bezirkspräsidenten in einigen Fälen zugewiesenen neuen Be-
fugnisse kaum ins Gewicht. Zu erwähnen find hier das Gesetz v. 20. März 1881 (G.Bl. S. 60),
welches den B. die Funktionen der Forstdirektionen überträgt; § 8 A.G. B. G.B. für das Vereins-
recht (Ver. v. 6. Dez. 1899); §§ 45, 48, 65 A.G. Fr. G.G. Beurkundung und Beglaubigung von
Verträgen. Von der nach § 11 des Ges. v. 30. Dez. 1871 gegebenen Möglichkeit, den Bezirkspräsi-
denten durch Verfügung des Reichskanzlers (jetzt Statthalters) Befugnisse zu übertragen, welche nach
französischer Gesetzgebung den Ministern zustehen (vgl. auch § 18 eod., wonach durch Kais. Verord-
nung das Gleiche bezüglich der in den französischen Gesetzen dem Staatsoberhaupt vorbehaltenen
Befugnisse bestimmt ist), ist bis jetzt nur durch Ver. v. 10. Febr. 1875 (G. Bl. S. 57), betr. Ge-
ehmigung Abänderung und Auflegung gewisser Gemeindesteuern, Gebrauch gemacht worden.
*1 r §2 Ver. v. 20. Sept. 1873 (G.Bl. S. 251) und § 2 Ver. v. 28. Aug. 1875 (G.Bl.
S. 172). Die Bezirkspräfidenten find mit den in Frage kommenden Angelegenheiten nunmehr in
der Berufungsinstanz befaßt.
4Aucoc I Nr. 85; O. Mayer S. 56; Leoni S. 97.
7 Ein Abdruck des zu dem erstgenannten Dekret erlassenen Zirkulars des Ministers des Innern
v. 5. Mai 1852 besindet sich D.P. 52. 3. 29 f.; vgl. auch die Aufzählung der Befugnisse des B. bei
Ducrocq 1 S. 84 f. Tabl. A u. B.
* Vgl. Entsch., des R.G. v. 5. Jan. 1880 und O.L.G. Colmar v. 31. März 1886, 17. April
1886, 29. Sept. 1890 (Jur.3. 1886 S. 256, 324; 1890 S. 510). «
Der französische Kassationshof steht nach seinen neueren Entscheidungen v. 28. Aug. 1858,
23. Nov. 1860, 28. Juni 1861 (vgl. Jur. Z. 1886 S. 260) auf dem Standpunkt, daß der Präfekt
(Bezirkspräsident) bezüglich derjenigen Gegenstände, welche der ortspolizeilichen Gewalt des Bürger-
meistrrs unterstellt sind, Verordnungen nur erlassen kann, soweit es sich um „mésures de sürett
générale“ handelt. Ducrocq I . 80; Hauriou Nr. 332. Bgl. über die Streitfrage die
ausführliche Darstellung bei Leoni-Mandel S. 107. «
5*