72 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 17
Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat dann später das Reichsgesetz über die
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898 Bestimmung getroffen.
Die Handhabung der Justizverwaltung ist dem Landesrecht vorbehalten ge-
blieben.
Der Sitz und die Besetzung des Oberlandesgerichts kann durch Verordnung des
Kaisers, und die Bestimmungen über Zahl, Sitz und Bezirke der Land= und der Amts-
gerichte, ferner der Zahl der Senate und Kammern können durch Verordnung des
Statthalters vorbehaltlich der durch den Landeshaushalt vorgesehenen Grenzen ab-
geändert werden 7.
Im Interesse des rechtsuchenden Publikums kann das Ministerium die Abhaltung
von regelmäßigen Gerichtstagen der Amtsgerichte außerhalb ihrer Sitze anordnen .
Den Amtsgerichten sind Ergänzungsrichter beigeordnet, welche den Amtsrichter
in Verhinderungsfällen zu vertreten haben; eine besondere Befähigung für dieses Amt
wird nicht verlangt 5.
An den Landgerichten zu Straßburg, Metz, Mühlhausen und Kolmar find
Kammern für Handelssachen eingerichtet, deren Mitglieder mit Ausnahme des
jeweiligen Vorsitzenden, der ein berufsmäßiger Richter ist 10, aus Handelsrichtern bestehen,
die aus der Mitte des ansässigen Kaufmannsstandes genommen werden.
Die Vorsitzenden der periodisch bei den Landgerichten Straßburg, Metz, Mül-
hausen und Kolmar zusammentretenden Schwurgerichte werden von dem Ober-
landesgerichtspräsidenten aus der Zahl der bei dem Oberlandesgericht oder den Land-
gerichten beschäftigten Richter, die beiden Beisitzer vom Landgerichtspräsidenten, der auch
für den etwa nötig werdenden Stellvertreter des Vorsitzenden zu sorgen hat, ernannt 11.
V. An die Stelle des Generalprokurators und der Oberprokuratoren sind der
Oberstaatsanwalt am Sitze des Oberlandesgerichts und die Ersten Staatsanwälte bei
den Landgerichten getreten. Dem Oberstaatsanwalt ist beigegeben der Erste Staats-
anwalt beim Oberlandesgericht und einer oder mehrere Staatsanwälte; ebenso stehen den
Ersten Staatsanwälten bei den Landgerichten je nach dem Geschäftsumfang einer oder
mehrere Staatsanwälte zur Seite. Die Beamten der Staatsanwaltschaft sind nicht
richterliche Beamte; die Voraussetzung zur Erlangung des Amts als Staatsanwalt ist
aber die Ablegung der juristischen Staatsprüfung. Bei den Amtsgerichten fungieren
als öffentliche Ankläger Amtsanwälte, deren Funktionen vertretungsweise Gerichts-
assessoren 12 übertragen werden können. Die Amtsanwälte sind der Staatsanwaltschaft
beim Landgericht untergeordnet.
Der äußeren Angliederung der Staatsanwaltschaft an die Gerichte entspricht es,
daß sowohl die örtliche wie die sachliche Zuständigkeit der einzelnen Organe mit den-
jenigen der Gerichte, welchen sie zugewiesen sind, übereinstimmt 18. Abgesehen hiervon,
Gesetz v. 13. Febr. 1899. beir. die Disziplin der Achte, einem odf#ziplinarsenat und Disziplinarhof
übertragen. worden. 7 Ges. v. 14 Juli 1871 23. Nov. 1907 (R. G. Bl. S. 759).
Durch Kais. Ver. v. 21. Zum 1913 (G. Bl. S. 81) u für die aufsichtsführenden Ankprichtern
bei den Amtsgerichten in Siraßndn Metz, Mülhausen, Colmar und Diedenhofen die Bezeichnung
Amtsgerichtsdirettor. eingeführt worden.
Art 3 Ges. v. 29. Vent. IX (Bull. III. série Nr. 595) und Art. 10 G. V. G. Vgl. auch
binsichtlich der Vertretung noch § 6 Ver, v. 26. April 1875 (G.Bl. S. 69).
Der Vorsitzende wird vom Statthalter aus den Mitgliedern des Landgerichts auf die Dauer
von fünf Jahren ernannt. Die Handelsrichter werden vom Kaiser auf gutachtlichen Vorschlag der
am Sithße des Landgerichts bestehenden Handelskammer für eine Daucr von drei Jahren ernannt.
1 Sind mehrere Landgerichte zu einem Schwurgerichtsbezirk zusammengefaßt (Straßburg-
Zabern, Metz-Saargemünd), so können die Beisitzer auch aus den anderen Landgerichten des Bezirk-
genommen werden.
13 Auch Referendare und bei Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz, betr. das Forststrafrecht
und das Forststrafverfahren, v, 28. April 1880, auch Forstbeamte können hierzu verwandt werden
(& 64 Ges. v. 28. April 1880. In dringenden Fällen kann bei Verhinderung des zuständigen Be-
amten auch der Bürgermeister des Ortes als Amtsanwalt fungieren. Nach Leoni (S. 113 N. 6)
besteht noch das Geseho“ 27. Vent. VIII Art. 26 zu Recht, wonach bei Verhinderung des Staats-
anwalts der jngse ichter des betr. Gerichts zur Vertretung berufen ist.
* 44 G. V. G. BDgl. auch Abf. 2 daselbnt, wonach bei Gefahr im Verzug auch ein un-
zußtändiges Beamter der Staatsanwaltschaft tätig werden muß.