80 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 18
V. In diesem Zusammenhange ist auch gewöhnlich von der Pflicht zur Einreichung einer
Denkschrift vor Einleitung einer jeden Klage gegen den Staat, einen Bezirk oder eine Gemeinde
die Rede. Die diesbezüglichen Bestimmungen des franzöfischen Rechts find inhaltlich durch die
Reichsjustizgesetzgebung aufrechterhalten geblieben 77.
VI. Was die Behandlung der in einem Prozesse auftretenden präjudiziellen Ver-
waltungsfragen angeht, also solcher Fragen, die nicht den eigentlichen Gegenstand der Ent-
scheidung, sondern nur einen Inzidentpunkt (eine Vorfrage) desselben bilden, so muß in solchen
Fällen auch angesichts des bloß von einer diesbezüglichen Möglichkeit sprechenden § 148 C.P.O.
gemäß dem Grundsatz von der Trennung der Gewalten die Aussetzung des Verfahrens erfolgen 7s.
Erhellt aus den Verhandlungen, daß die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde bzw. des Ver-
waltungsgerichts den ganzen Rechtsstreit umfaßt, so ist die Klage abzuweisen.
Anders liegt das Verhältnis im Strafprozeß (§§ 260, 261): Der Strafrichter ist berechtigt
und verpflichtet, die einschlägigen Fragen des öffentlichen Rechts selbständig zu beurteilen.
VII. überblickt man nochmals das Vorhergesagte, so kommt man zu dem Schlusse, daß zwar
grundsätzlich Verwaltung und Justiz selbständig find, daß aber namentlich durch die Bestimmung
des § 17 G.V.G. eine Verschiebung zugunsten der Justiz stattgefunden hat, wenn dies in E.-L. auch
in schwächerem Maße als in den Bundesstaaten der Fall ist. Eine Uberwachung dahin, ob die
Justiz sich innerhalb ihrer Grenzen gehalten hat, findet nicht mehr statt0; die Verwaltung besitzt
nicht mehr die Möglichkeit, den Gerichten einen Prozeß, für dessen Entscheidung sie sich selbst als
zuständig erachtet, zu entziehen 31. Greifbare Nachteile haben sich aus diesem Zustande bisher
nirgends ergeben, und man kann wohl sagen, daß der bisherige Entwicklungsgang im Hinblick auf
die in bestimmten Formen und von unabhängigen Beamten geübte Rechtsprechung immer noch besser
ist, als wenn sich ein Übergewicht der Verwaltung herausgebildet hätte, die (selbstverständlich gang
objektiv genommen) nicht die gleichen Garantien zu bieten vermöchte. Aus diesen Gründen mag es
daber auch zweckmäßig erschienen sein, von der durch § 17 G.V.G. der Landesgesetzgebung ein-
gerdumten Möglichkeit, „die Entscheidungen von Streitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungs-
behörden oder Verwaltungsgerichten über die Zulässigteit des Rechtsweges besonderen Behörden zu
übertragen“, die nach Maßgabe reichsrechtlicher Normativbestimmungen zu organifieren sind, abzu-
sehen. (Kompetenzgerichtshof zur Entscheidung negativer und pofitiver Kompetenzkonflikte.)
*! Abw. Ans. O. Mayer, Frz. Verw.R., S. 397; es handelt sich aber nicht nur um eine
prozessuale, sondern eine materiell-rechtliche Vorschrift (R.G.E. [Civ.] 17 S. 416), weshalb § 14
E.G. C.P.O. nicht in Frage kommt. Nach § 2 A.G. C.P.O. ist bei gerichtlichen Klagen gegen den
Fiskus die Denkschrift bei der zur Vertretung des Fiskus berufenen Behörde einzulegen und erft
nach abschlägigem Bescheid oder nach Ablauf von einem Monat seit Einreichung ist die Klage-
erhebung zulässig. Das gleiche gilt für Schtree (Art. 37 Ges. v. 10. Mai 1838) und Gemeinden
(§. 56 Nr. 15 Gem.O.); bei ersteren muß die Einreichung der Denkschrift „bei Strafe der Nichtigkeit"
erfolgen; die Klage darf erst zwei Monate nach dem Datum des Empfan sscheines erfolgen. Bei
Gemeinden ist die Denkschrift beim Bezirkspräsidenten einzureichen. Eine Feii zwischen der Ein-
reichung der Denkschrift und der Erhebung der Klage ist nicht vorgeschrieben.
ie Einreichung einer Denkschrift ist nicht erforderlich bei Anträgen auf einstweilige Ver-
fügung (§ 2 III zit.), bei Widerspruchsklagen gegen Zwangsbefehle (& 50 II Verkehrssteuerges.), bei
Anträgen auf Enteignung einer Gemeinde (Els.-I. Z. 33 S. 70) und bei Klagen auf Nückerstattung
von Oktroi (Els.I. Z. Bd. 32 S. 571. Bd. 35 S. 8).
Der Mangel einer Denkschrift (WGel. des Fistus) kann durch nachträgliches Einreichen derselben
geheilt werden. O.L.G. Colmar 17. Dez. 1908, Els.-l. Z. 35 S. 8; vgl. daselbst auch über den
harakter der Denkschrift.
Die Vorschrift des § 2 A.G. C.P.O. bezieht sich auch auf Klagen gegen den Reichsfiskus.
O. L.G. v. 17. Dez. 1908, Elf.-I. Z. 35 S. 10.
238 Abw. Ans. O. Mayer (Frz. Verw. R. S. 386), der davon ausgeht, daß mit dem Wegfall
des Staatsrats keine zur Entscheidung berufene Behörde mehr vorhanden sei. Wie Keetman
(S. 123) hervorhebt, ist das aber unzutreffend, da eben in diesem Falle dieserige Behörde, welche
den betreffenden Akt erlassen hat, zuständig zur Entscheidung ist. Bgl. Michaslis S. 216, RN. G.
in Els.-I. Z. 11 S. 207; Mulert, ebenda Bd. 10 u. 11.
26 R.G.E. (Str.) 17 S. 21; R.G. in Els.-I. Z. 20 S. 302; O.L.G. Colmar, Els.-I. Z. 10
S. 440; Löwe-Rosenberg, Str. P.O., 13. A., § 261 Anm.
20 Vgl. Hellwig, Lehrbuch d. C. P.O., I S. 89.
21 Zur Frage der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bzw. der ung uläs #iteit des
Rechtsweges seien noch folgende Einzelheiten hervorgehoben: die Unzulässigkeit des Rechtsweges
ist von Amts wegen, also auch noch in der Berufungsinstanz zu beachten (O.L G. Colmar 22. Dez.
1906, Elf.-I. Z. 32 S. 571). Für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges ist grundsätzlich nicht
bloß das Klagevorbringen maßgebend. Es sind Falle denkbar, in denen das Klagevorbringen die
privatrechtliche Natur des erhobenen Anspruchs außer Treeilel zu lassen scheint, und wo erst aus dem
arieidi gan gevorbeineen sich ergibt, daß es sich in Wahrheit um einen der Entscheidung durch die
ordentlichen Gerichte nicht unterworfenen Anspruch aus dem Gebiete des öffentlichen Rechts handelt.