34 J. Das Deutsche Reich.
staate seit mindestens einem Jahre angehört hat, sofern
er nicht von der Stimmberechtigung ausgeschlossen ist.
Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreise
gewählt. Die Wahlhandlung sowie die Ermittelung
des Wahlergebnisses sind öffentlich, d. h. es ist jedem
Wahlberechtigten gestattet, im Wahllokale zugegen zu
sein. Dagegen dürfen in letzterem Diskussionen, An—
sprachen und Beschlußfassungen nicht stattfinden. Zur
Sicherung des Wahlgeheimnisses sind unter dem 28. April
1903 besondere Bestimmungen getroffen worden. Ins—
besondere ist hiernach der vorschriftsmäßzig herzustellende
Stimmzettel von dem Wähler in einem mit amtlichem
Stempel versehenen Umschlage abzugeben, und ist durch
Bereitstellung von Aebenräumen, die nur durch das
Wahllokal betretbar und unmittelbar mit ihm verbunden
sind, oder durch Vorrichtungen an von dem Vorstands-
tische getrennten Mebentischen Borsorge dafür zu treffen,
daß der Wähler seinen Stimmzettel unbeobachtet in den
Umschlag zu legen vermag. Die Wahl erfolgt durch
absolute Stimmenmehrheit aller in einem WahlSreise
gültig abgegebenen Stimmen, der Gewählte muß also
mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte dieser
Stimmen auf sich vereinigt haben. Ist bei einer Wahl
eine solche Mehrheit nicht erreicht worden, so ist eine
Stichwahl unter den zwei Kandidaten zu veranstalten,
welche die meisten Stimmen erhalten haben. Bei Gleich-
heit der Stimmen entscheidet dann das Los. Die Wahlen
sind im ganzen Reichsgebiete an einem durch den BReichs-
kanzler zu bestimmenden Tage vorzunehmen.
Der BReichstag muß alljährlich einmal zusammentreten;
seine Legislaturperiode (Gesetzgebungsdauer) umfaßt fünf
Jahre; zur Auflösung während dieser Periode ist ein
Beschluß des Bundesrats unter Zustimmung des Raisers
erforderlich. Aach einer Auflösung muß die Zusammen-
berufung der Wähler binnen 60 Tagen, die des neuen
Reichstags binnen 90 Tagen erfolgen. Von der Befug-
nis zur Auflösung des Reichstags ist im Laufe der Zeit
wiederholt, zuletzt im Dezember 1906, Gebrauch gemacht
worden. Ohne Zustimmung des Beichstags darf dessen
Vertagung die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen
und während derselben Session nicht wiederholt werden.
Die Reichstagsmitglieder sind Vertreter des gesamten