$ 8. Die „gesetzmäßige Verwaltung“. 129
öffentlichen Verwaltung zustehenden Anspruch geboten sein
kann. Man denke nur an das strafrechtliche Seitenstück: die
Begnadigung. Eine solche Durchbrechung des Gesetzes ist je-
doch nur auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung erlaubt
und möglich.!? Derartige Ermächtigungen sind nicht selten in Steuer-
gesetzen vorgesehen; den Steuerbehörden kann die Kompetenz
verliehen sein, bestimmte Personen ganz oder teilweise von der
Steuerpflicht zu befreien (Steuerprivileg) oder auf verfallene
Steuern zu verzichten (Steuererlaß) oder die Steuern zu stunden.!?
In gleicher Weise räumen die meisten Baugesetze den Bau-
polizeibehörden die Befugnis ein, in Fällen, in denen eine un-
durchbrochene Anwendung baupolizeilicher Vorschriften (Bau-
abstand u. dgl.) zu Härten führen würde, dem Privaten Dispen-
sation von den starren Rechtsregeln zu erteilen (Baudispens,
Nachsichterteilung).” Hat aber der Gesetzgeber keine Erlaubnis
18 Urteil des Königl. Sächs. Oberverwaltungsgerichts vom 11. Januar
1902 (Jahrbücher des K. Sächs. OVG. I S. 3655).
19 Beispiele: Württbg. Gesetz v. 8. Aug. 1903, betr. Besteuerungs-
rechte der Gemeinden, Art. 7: „Die Gemeinden sind befugt, aus besonderen
Gründen zur Beförderung öffentlicher Interessen zeitliche Befreiungen von
der Gemeindeumlage oder Verminderung der Beitragspflicht auf die Dauer
von höchstens zehn Jahren zu verwilligen.‘‘ Württembergisches Ein-
kommensteuergesetz v. 8. Aug. 1903, Art. 79: „Die Einkommensteuer
kann in einzelnen Fällen von der Steuerverwaltung ganz oder teilweise
niedergeschlagen werden, wenn ihre zwangsweise Beitreibung den Steuer-
pflichtigen in seinem wirtschaftlichen Fortkommen gefährden würde,
wenn das Beitreibungsverfahren voraussichtlich ohne Erfolg sein würde,
oder wenn die Kosten der Beitreibung außer Verhältnis zu dem beizutrei-
benden Steuerbetrag stehen würden.‘ — Preuß. Ges. betr. den Staats-
haushalt, v. 11. Mai 1898 $ 18: „Von der Einziehung dem Staate zustehen-
der Einnahmen darf nur im einzelnen Fall und, abgesehen von der Un-
möglichkeit der Einziehung, nur auf Grund einer durch gesetzliche oder
durch königliche Bestimmung erteilten Ermächtigung abgeschen werden.
Nur unter gleichen Voraussetzungen dürfen auch zur Staatskasse ver-
einnahmte Beträge zurückerstattet werden.‘ Preuß. OVG. 21. Dezember
1908 (Preuß. Verw.-Bl. XXXI 275; s. ferner XXXIV 53, 774). S. ferner
Badisches Etatgesetz v. 24. Juli 1888, Art. 37 (Walz, Staatsrechtl. Ge-
setze Badens, 1911, S. 118). A. Düffe, Die Zoll- und Steuerstundungs-
ordnungen, 1912. Glatzer, im Preuß. Verw.-Bl. XXXIV. 141
20 z.B. hat das Allgemeine Baugesetz für das Königreich Sachsen
v. 1. Juli 1900 in $ 6 ein ganz allgemeines Dispensationsrecht vorgesehen:
„Ausnahmen von den Anforderungen dieses Gesetzes und der auf dessen
Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts. 3. Aufl. 9