132 $ 9. Inhalt der verwaltungsrechtlichen Verhältnisse.
$ 9. Inhalt der verwaltungsrechtlichen Verhältnisse im Allgemeinen.
I. Das Privatrecht überläßt es den Beteiligten, ihre Rechts-
verhältnisse innerhalb eines großen Gebietes nach eigenem Er-
messen ins Leben zu rufen und auszugestalten. Man denke nur
an den Geltungsbereich der Vertragsfreiheit. Anders liegen die
Dinge im Verwaltungsrecht. Hier handelt es sich um Rechts-
verhältnisse, die in der Hauptsache durch das Gesetz von vorn-
herein vorgezeichnet sind. Das Gesetz bestimmt, unter welchen
Voraussetzungen die Verwaltungsbehörden von den Untertanen
Leistungen — positive, wie negative — verlangen können und
von welcher Art und welchem Umfang diese Leistungen sein
müssen. In gleicher Weise stellt es fest, in welchen Fällen den
Untertanen Rechtsansprüche gegen die öffentliche Verwaltung
zustehen. Den Verhältnissen des öffentlichen Rechts geht die
Elastizität ab, die die Obligationen des Privatrechts auszeichnet.
Das ist vom Rechtsstaat so gewollt. Denn nur durch die strenge
Bindung der Verwaltungsbehörde an das Gesetz ist Rechtssicher-
heit und Rechtsgleichheit zu erreichen gewesen, auf die der
Rechtsstaat hingearbeitet hat.
Trotzdem ist von Starrheit keine Rede. Denn soweit die Ver-
waltungsbehörde durch das Gesetz nicht gebunden worden ist,
hat sie ihr ‚‚freies Ermessen‘ (pouvoir discretionnaire) un-
geschmälert behalten.! Auf dieses „Verwaltungsermessen‘“ stellt
Stadtgebiet umfassenden Veranstaltung die Pflicht, zu deren Unter-
haltung beizutragen, nicht den dadurch bevorteilten Besitzern aller im
Stadtgebiet belegenen, sondern nur den der in einzelnen Teilen derselben
belegenen Grundstücken auferlegt wird.“ Eine Fundgrube bietet dem
Juristen die staatsrechtliche Praxis des Schweizerschen Bundesgerichts
betreffend die Rekurse wegen Verletzung des Art. 4 (Rechtsgleichheit) der
Schweiz. Bundesverfassung. Eugen Curti, Sämtliche Entscheidungen
des Schweiz. Bundesgerichts in abgekürzter Fassung, I Nr. Lff.
ı Vgl. dazu F. Tezner, Zur Lchre von dem freien Ermessen der
Verwaltungsbehörden, 1888. Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Recht-
sprechung und Verwaltung (Festgabe für Laband II 445£f., insbes. S. 498 ff.).
Leopold Menzinger, Ermessen und Verwaltungsgerichtsbarkeit im
bayer. Recht (Blätter für administrative Praxis, Bd. 58 (1908) S. 1ff.)
Rudolf v. Laun, Das Recht zum Gewerbebetriebe, 1908 (Wiener staats-
wissenschaftl. Studien, herausg. von Bernatzik und v. Philippovich)
und dazu die Kritik von G. Rohmer im Verwaltungsarchiv XXI 312.