136 $ 12. Anspruch- und pflichtbegründende Staatsakte.
Wird aber die Verfügung einer Verwaltungsbehörde auch
materiell rechtskräftig in dem Sinn, daß Behörde und Unter-
tan an ihren Inhalt gebunden sind? Die Rechtskraftwirkung des
Zivilurteils ist eine Zweckmäßigkeitsschöpfung des positiven
Rechts und zwar ausschließlich prozessualer Natur.°” Man soll
die Gerichte nicht ein zweites Mal mit der Untersuchung einer be-
reits von ihnen entschiedenen Sache behelligen dürfen, und
unter den Parteien selbst soll nach gefälltem Urteil das vorher
bestrittene Rechtsverhältnis als unbestreitbar gelten. Diese
Gründe treffen jedoch für Verfügungen der Verwaltungsbehörden
nicht zu. Denn für die Verwaltung ist, anders als für die
Justiz, die Verwirklichung des Rechtes nicht Endziel, sondern
nur Mittel zum Zweck. Die Aufgabe der Verwaltungstätig-
keit besteht nicht darin, Rechtsgewißheit zu verschaffen —
das ist der Beruf des Zivilurteils — sondern einen materiellen,
dem Staate nützlichen Erfolg innerhalb der Schranken des Rechts
zu erreichen.”® Wie der Private bei der Besorgung seiner Ge-
schäfte seine Anordnungen den wechselnden Interessen an-
paßt, so muß auch die öffentliche Verwaltung neuen Bedürf-
nissen gerecht werden können. Was heute dem Gemeininteresse
frommt, kann ihm schon nach kurzer Zeit schädlich sein,
Abs. 5, Ziff. 5. (Vgl. jedoch für Preußen : Urt. d. Preuß. OVG. 22. Mai 1911
im Preuß. Verw.-Bl. XXXIII 200.) Weitere Beispiele aus dem Wege-
recht bei Germershausen, Wegerecht in Preußen I S. 704 (polizeiliche
Verfügungen betr. die Öffentlichkeit eines Weges). — Innerhalb der
Rechtsmittelfrist darf die Behörde ihre Verfügung nur widerrufen aus
Gründen, aus denen sie auch nach deren Ablauf zur Zurücknahme be-
rechtigt wäre. Kormann, Rechtsgeschäftliche Staatsakte S. 327.
97 Richard Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts,
2. Aufl., S. 744ff. Hellwig, Wesen und subjektive Grenzen der Rechts-
kraft, 1901, S. 12ff. System des Deutschen Zivilprozeßrechts S. 767fl.
R. Schultz, Der Stand der Lehre von der Rechtskraft des Zivilurteils
in Literatur und Judikatur (Zeitschr. ,,Der Rechtsgang‘“‘ I (1913) S. 153 ff.).
Aus der älteren Literatur insbesondere Unger, Österreich. Privatrecht,
1I $ 132.
38 Darum kann mit Fug die Frage aufgeworfen werden, ob der Aus-
druck „Rechtskraft“ auf die Verfügungen der Verwaltungsbehörden
paßt. Kormann, Rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 323ff. vermeidet ihn.
Der Terminus ist nur erlaubt, wenn man sich stets vor Augen hält, daß
damit nichts anderes gesagt wird, als, eine Verfügung sei unabänderlich
der Behörde gegenüber, die sie erlassen hat.