190 $ 12. Anspruch- und pflichtbegründende Staatsakte.
soll auch nicht infolge einer veränderten Rechtsauffassung ohne
zwingende Notwendigkeit Besitzstände der Bürger als rechtsun-
gültig erklären, die sie jahrelang unangefochten gelassen hatte.“
„Quieta non movere‘“ und ‚Treu und Glauben‘ müssen auch
für die Verwaltungsbehörden gelten. Aber freilich, die Möglich-
keit, daß eine ihm günstige Verfügung zurückgenommen wird,
schwebt stets wie ein Damoklesschwert über dem Haupt des
Privaten. Der Gesetzgeber hat deshalb darauf Bedacht nehmen
müssen, diese Kompetenz zur Rücknahme einer Verfügung ein-
zuschränken für die Fälle, für welche dies die Rücksicht auf die
Rechtssicherheit verlangt. So hat er Unabänderlichkeit nament-
lich denjenigen anspruch- oder pflichtbegründenden Verfügungen
zugesichert, die von der Behörde nur nach vorangegangenem um-
ständlichen Einspruchs- oder Ermittelungsverfahren erlassen wer-
kannt. Darf nun die Behörde den weitern Betrieb hindern, wenn durch
Zufall festgestellt wird, daß eine unzulässige Ausdehnung einer Realgewerbe-
berechtigung vorliegt?! Vgl. auch Urteil des Preuß. Ober-Verw.-Ger.
20. März 1911 (Preuß. Verw.-Bl. XXXII 566).
48 Aufein gutes Beispiel aus der badischen Praxis weist W. Jellinek,
Gesetz, Gesetzesanwendung S. 24 hin: Nach der älteren Auffassung galten
in Baden Kaffeewirtschaften (ohne Ausschank geistiger Getränke) nicht
als genehmigungspflichtig. Nachdem sich jedoch die Praxis in Baden
der herrschenden Auslegung des $ 33 der Gew.-Ordn. anzuschließen be-
gonnen hatte, derzufolge auch Kaffeewirtschaften konzessionspflichtig
sind, kam die Inhaberin einer seit lange bestehenden Kaffeewirtschaft
dem Verlangen der Polizei gemäß um eine Firlaubnis ein. Die Be-
hörde schlug die Erlaubnis jedoch ab. Der Verwaltungsgerichtshof hob
am 5. April 1905 die Verfügung auf und schützte die Inhaberin der
Wirtschaft in ihrem Besitzstand. Rechtsprechung des Bad. Verwaltungs-
gerichtshofs III Nr.1042. Im selben Sinn Bad. Verw.-G.-H. 14. März 1905
(Rechtsprechung d. Bad. Verwaltungsgerichtshofs III Nr. 356): Klägerin
hat jahrelang in Übereinstimmung mit der Übung Krankenkassen -
beiträge bezahlt. Bei ihrer Erkrankung wird festgestellt, daB dies aus
Rechtsirrttum geschehen und die Klägerin nie Kassenmitglied gewesen
war. Die Kasse verweigert die Leistungen. Der Verw.-G.-H. hat sie
jedoch mit Berufung auf „Treu und Glauben‘ dazu verurteilt. — Dieser
Grundsatz hat nunmehr in der Reichsversicherungsordnung gesetzliche
Anerkennung gefunden. Nach $ 1446 gelten „Beiträge, die in der irr-
tümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet worden sind und
nicht zurückgefordert werden, als für die Selbstversicherung oder Weiter-
versicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung
bestanden hat“.