Full text: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts.

216 $ 13. Verwaltungszwang. 
Nicht die ultima ratio, sondern das einzig mögliche Mittel 
bildet die unmittelbare Gewaltanwendung in den Fällen, in denen 
allein durch sofortigen Zwang das gefährdete öffentliche 
Interesse geschützt werden kann. So ist die Behörde ohne 
weiteres befugt, einen Velofahrer, der nach Eintritt der Dunkel- 
heit ohne Laterne fährt, anzuhalten und an der Weiterfahrt zu 
verhindern; verbotene Abzeichen (rote Fahnen usf.) zu ent- 
fernen; eine nicht genehmigte Versammlung oder eine Versamm- 
lung, in der zu Verbrechen aufgefordert wird, aufzulösen (Reichs- 
Vereins-Gesetz $ 14); eine Tanzlustbarkeit, die verbotswidrig über 
die Polizeistunde hinaus andauert, zu schließen;?® eine Hebamme, 
bei welcher plötzlich eine Geisteskrankheit ausgebrochen ist, trotz 
ihrer Prüfungszeugnisse an der Ausübung ihres Berufs zu hindern ;*® 
einen Privaten, der in einem feuergefährlichen öffentlichen Lokal 
raucht, hinauszuweisen u. a. m.*' Zu den Mitteln des sofortigen 
Zwanges gehört auch die vorläufige Verwahrung einer Person, 
welche die nächtliche Ruhe stört.4%® Die Gesetze bestimmen jedoch 
im Interesse der persönlichen Freiheit, daß eine derartige Haft 
bestimmten Einzelfällen vorhanden. Mit der Prüfung dieser Frage neh- 
men es jedoch Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte häufig 
nicht allzu genau, namentlich dann nicht, wenn sie darüber zu befinden 
haben, ob und wie weit Frauenspersonen, die der gewerbsmäßigen Unzucht 
verdächtig sind, zur Auskunftserteilung ‚sistiert‘‘ werden dürfen (,‚vor- 
läufige Festnahme‘). Vgl. über diese polizeiliche Sistierung die Urteile 
des Reichsgerichts in Strafsachen vom 23. März 1880 und vom 11. Januar 
1881 (Reger, I S. 98 und IV S. 99). 
838 Urteile des Preuß. Ob.-Verw.-Ger. vom 24. Sept. 1888 und vom 
9. März 1892 (Entsch. Bd. 18, S. 422 und Bd. 22, S. 410). 
3? Reger XXVII S. 349. 
40 Das Urteil des Preuß. Ob.-Verw.-Ger. vom 30. Januar 1886 
(Kamptz, Rechtsprechung des Preuß. Ob.-Verw.-Ger., Bd. IV S. 1182) 
erklärt es sogar für zulässig, daß in einem solchen Falle der Polizeibeamte 
dem Raucher, statt ihn wegzuweisen, die Zigarre mit Gewalt aus dem 
Munde nimmt. — Nach dem Reichsvereinsgesetz, $ 11, darf in einer öffent- 
lichen Versammlung niemand bewaffnet erscheinen. Wird das Verbot 
übertreten, so ist die Polizeibehörde nicht befugt, dem bewaffnet Erschie- 
nenen die Waffen wegzunehmen, sie hat aber das Recht ($ 14, Ziff. 4), 
die Versammlung für aufgelöst zu erklären. Stier- Somlo, Reichsvereins- 
gesetz S. 162 u. 197. 
40° Soergel V 29.
	        
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