236 $ 15. Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit verfolgt das Ziel, die Forde-
rung des Rechtsstaates nach ‚‚gesetzmäßiger Verwaltung‘ zu ver-
wirklichen. Sie stellt jedoch nicht die einzige Einrichtung dar,
die diesem Zwecke dient. Eine Garantie für die ‚„Gesetzmäßig-
keit‘ wird u. a. auch geschaffen durch die Kontrolle der Volks-
vertretung über die Regierung; durch die Besorgung von Ver-
waltungsaufgaben durch Ehrenbeamte; durch die Zuständigkeit
der Zivil- und Strafgerichte, bei der Entscheidung von ‚,Vor-
fragen“ (oben S. 20) die Gültigkeit von Verwaltungsakten prüfen
die Reichsverwaltungsbehörden, welche eigene Verwaltung des Reichs be-
sorgen oder die administrative Aufsicht des Reichs über die Durchführung
der Reichsverwaltungsgesetze in den Gliedstaaten wahrnehmen. Auch in
der Organisation haben diese Reichsverwaltungsgerichte ihren besonderen
Zuschnitt. Die meisten sind der der Materie zugehörenden Verwaltungs-
behörde des Reichs insofern eingegliedert, als' sie entweder eine be-
sondere für die Rechtsprechung eingerichtete Abteilung der betrefienden
Reichsbehörde ausmachen (es sei an die Spruchsenate des Reichsver-
sicherungsamtes [RVO. $8 98ff., 1694 ff.] oder an die Nichtigkeitsabteilung
des Reichspatentamtes erinnert) oder aber nur eine durch richterliche
Mitglieder verstärkte Erweiterung der betreffenden Reichsverwaltungs-
behörde darstellen (Verstärktes Reichseisenbahnamt, Verstärktes Aufsichts-
amt für Reichsversicherung). Ausnahmsweise hat die Reichsgesetzgebung
eine solche über andere Reichsorgane eingesetzte Behörde auf Verwaltungs-
rechtsprechung beschränkt. Dies trifft z. B. beim Oberseeamt zu und beim
Oberschiedsgericht der Angestelltenversicherung (Vers.-Ges. f. Angestellte v.
20. Dez.1911 88156, 162ff., 281ff.). Laband, Staater.,I5 S.421ff. Deutsches
Reichsstaatsrecht® $. 98ff. — Über die Forderung auf Errichtung eines
zentralen deutschen Verwaltungsgerichtshofs vgl. die dem XXIX. und
XXX. deutschen Juristentag erstatteten Rechtsgutachten von Schultzen-
stein, Thoma und Anschütz (Verhandlungen des XXIX. deutschen
Juristentags, Gutachten Bd. 2, S. 4ff., des XXX. Juristentags, Bd. 1,
S.ölff. und 489). Vgl. dazu die kritischen Erörterungen von Laband,
Ein deutsches Reichsverwaltungsgericht (DJZ XV 909). S. ferner Fleisch-
mann, in der DJZ XIII 957. Schultzenstein im Preuß. Verw.-Bl.
XXXI 709 und im Verw.-Arch. XIX 538. Der Reichstag hat am 30. Mai
1913 bei der Beratung des neuen Reichs- u. Staaisangehörigkeitsgesetzes
(v. 22. Juli 1913) einer Resolution zugestimmt, in welcher ‚der Herr
Reichskanzler um baldige Vorlegung eines Gesetzentwurfs ersucht wird,
durch den ein Reichsverwaltungsgericht geschaffen wird, dem auch die
Entscheidung der in $ 33a (= $ 40 des definitiven Textes des Staats-
angehörigkeitsgesetzes) erwähnten Streitfragen in letzter Instanz zu über-
tragen ist.“ Stenographische Berichte des Reichstags, 13. Legislatur-
Periode, I. Session 1912/13, S. 5340.