$ 15. Verwaltungsgerichtsbarkeit. 259
behörden aber sind verpflichtet, in jedem Augenblicke das an-
zuordnen, was dem öffentlichen Wohle frommt. Daraus folgt,
daß bei der Ausübung der Rechtskontrolle die Aufgabe der Ver-
waltungsgerichte auf die Feststellung beschränkt ist, ob unter
den gegebenen Verhältnissen die Verwaltungsbehörde so verfügen
durfte, wie sie es getan hat. Das verwaltungsgerichtliche Urteil
ergeht somit stets unter der ‚clausula rebus sic stantibus‘“.
Es bindet für den Streitgegenstand außer den Parteien so-
wohl die Verwaltungsgerichte, als auch die Verwaltungs-
behörden und zwar diese mit der Wirkung, daß sie gegen den
Willen der Parteien ‚nichts verfügen können, was davon ab-
weicht‘ (Verwaltungsrechtspflegegesetz für das Königreich Sach-
sen vom 19. Juli 1900, $ 61).°! Über das konkrete Verfahren aber
reicht die Wirkung des Urteils nicht hinaus. Die Verwaltungs-
behörde, deren Verfügung durch das Verwaltungsgericht auf-
gehoben worden ist, ist nicht gehindert, eine neue Verfügung des-
selben Inhalts zu erlassen, sofern sie sich durch Rücksichten des
öffentlichen Wohls hierzu für verpflichtet erachtet,®?® und ebenso
ist einem durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil abgewiesenen
Kläger nicht verwehrt, einen neuen Antrag bei den Verwaltungs-
behörden (z. B. um Erteilung einer Schankkonzession) zu stellen,
der sich inhaltlich mit dem abgewiesenen deckt. Macht eine
Verwaltungsbehörde nach ergangenem Urteil von dieser Kom-
petenz Gebrauch, so liegt rechtlich eine neue Verfügung vor, die,
wenn sie im Verwaltungsstreitverfahren angefochten wird, das
Verwaltungsgericht gestützt auf die neue Sachlage neu zu prüfen
hat, und welcher die Einrede der abgeurteilten Sache (exceptio
rei judicatae) nicht entgegengehalten werden kann.® Die Ver-
schiedenheit der Rechtsverhältnisse, zu deren Schutz einerseits
81 Eine gleiche Vorschrift enthält das Hessische Verwaltungsrechts-
pflegegesetz Art. 67.
82 Urteile des Preuß. Oberverwaltungsgerichts vom 21. Sept. 1881,
30.Jan. 1902, 8. Oktober 1910 (Entscheidungen Bd. 8, S. 352 u. Bd.40, S. 409;
Preuß. Verw.-Bl. XXXII 634). Kamptz, Rechtsprechung des Preuß.
Ob.-Verw.-Ger. IV S. 1352. — Dies gilt auch in den Fällen, in denen
sich das verwaltungsgerichtliche Urteil auf Aufhebung der angefochtenen
Verfügung und Rückweisung an die Verwaltungsbehörde beschränkt hat,
Herzog, Rechtsmittelverfahren S. 134.
83 Andrer Ansicht: Württembg. VGH. 10. Mai 1911 (Soergel IV 697).
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