$ 17. Öffentlichreehtliche Entschädigung. 283
dar, und es habe sich seit den Tagen des Polizeistaates in einer
langen und beständigen Übung ein Satz zum Gewohnheitsrecht
verdichtet, demzufolge der Staat für die Auferlegung jedes be-
sondern Opfers dem betroffenen Bürger Ausgleich in Geld schulde.
Auf Grund dieses gemeindeutschen Gewohnheitsrechtes greife
daher eine Entschädigungspflicht Platz auch dort, wo eine be-
sondere gesetzliche Vorschrift darüber fehle.*® Eine vierte Theorie
endlich lehrt, Entschädigung schulde der rechtmäßig handelnde
Staat nur in den Fällen, in denen ein Gesetz eine Schadenersatz-
pflicht ausdrücklich anordne.”*
Jeder der erwähnten Lösungsversuche faßt das Problem als
eine Kollision rechtmäßiger Interessen auf?° und jeder von ihnen
erblickt den Ausgleich für die Preisgabe des Privatinteresses in
der vom Staate dem betroffenen Privaten geschuldeten Geld-
entschädigung. Keine dieser wissenschaftlichen Theorien will
jedoch dem Privaten eine solche Entschädigung zusprechen wegen
jeder Schädigung, die er durch rechtmäßige Handlungen der
öffentlichen Verwaltung erleidet. Denn bestände eine so weit-
gehende Pflicht des Staates, so würde jeder neue Schritt der Ver-
waltung unübersehbare Schadenersatzansprüche auslösen. Es sind,
darüber herrscht Einverständnis, stets nur qualifizierte Fälle, die
für die Entschädigungspflicht in Betracht fallen. Welches sind
diese aber? Die drei zuerstgenannten Theorien versuchen, jede in
ihrer Art, die Frage mit einer allgemeinen Formel zu beantworten,
die neben jedem Gesetz gelten soll und einer weitern Betätigung
des Gesetzgebers nicht bedarf. Darin liegt die werbende Kraft
dieser Lehren. Die Theorie von den wohlerworbenen Rechten
behauptet, Schadenersatz werde vom Staate wegen jeder Ent-
“ 23 Otto Mayer II S. 351. — Otto Mayers Theorie iet von der Recht-
sprechung des Kgl. Sächs. Oberverwaltungsgerichts vorbehaltlos über-
nommen worden. Wachler und Naundorff, Rechtsgrundsätze des
Kgl. Sächs. Oberverwaltungsgerichts I S. 24, Nr. Ic.
24 Gegen eine allgemeine Entschädigungspflicht u. a. Loening,
Verwaltungsrecht S. 255, Verwaltungsarchiv, II S. 461. v. Stengel und
Anschütz in den oben (!) zitierten Arbeiten.
25 Für das zivilrechtliche Gebiet: Rudolf Merkel, Die Kollision
rechtmäßiger Interessen und die Schadenersatzpflicht bei rechtmäßigen
Handlungen, 1895. Zitelmann, Ausschluß der Widerrechtlichkeit (Archiv
f. zivilist. Praxis Bd. 99 [1906] S. 1ff.).