284 $ 17. Öffentlichrechtliche Entschädigung.
ziehung oder Beschränkung eines Individualrechtes geschuldet,
dem eine besondere Stärke gegen staatliche Eingriffe zuerkannt
sei.?° Die Theorie ist im Polizeistaat entstanden und hat dort.
da andere Garantien gegen willkürliche Eingriffe des Staats
in Freiheit und Eigentum der Bürger fehlten, den Untertan gegen
den absoluten Herrscher geschützt. Im Verfassungsstaat bildet
der Verfassungsgrundsatz, daß Eingriffe in Freiheit und Eigentum
der Bürger nur auf Grund eines unter Mitwirkung der Volks-
vertretung zustande gekommenen Gesetzes zulässig sind, die
Schutzwehr für die Individualrechte. Dem Rechtschutzbedürfnis,
das im Polizeistaat Abstufungen der Individualrechte gezeitigt
hat, ıst im Verfassungsstaat durch die erwähnte neue Einrichtung
genügt worden. Innerhalb des Kreises der Individualrechte kennt
heute in Deutschland die Gesetzgebung keine Gradunterschiede
mehr. Die Behauptung, daß solche bestehen, läuft auf eine petitio
principii hinaus. Der Theorie von den wohlerworbenen Rechten
haftet aber noch ein weiterer Mangel an: in dem Bestreben,
einen Ersatzanspruch zu gewähren in allen Fällen, in denen die
Billigkeit dies fordert, ist sie dazu gelangt, bloßen Interessen der
Einzelnen den Stempel von individuellen Rechten aufzudrücken.?”
Diese Theorie vermag daher keine Begründung für eine all-
gemeine staatliche Entschädigungspflicht zu liefern. — Aber
auch die Theorie vom ‚besondern Opfer‘ ist hierzu nicht im-
stande. Jedes neue Unternehmen der öffentlichen Verwaltung
erzeugt für die verschiedenen Klassen der Bürger ungleiche
Schädigungen und ungleiche Vorteile. Das liegt im normalen
Lauf der Dinge, und niemand denkt daran, daß hier Anlaß für
eine finanzielle Ausgleichung nach der aktiven oder passiven
Seite vorhanden ist. Erst wenn der Nachteil ein besonderes
Opfer einer bestimmten Person darstelle, das durch den staat-
lichen Eingriff in den unmittelbaren rechtlichen Machtkreis
des betreffenden Individuums auferlegt worden sei, werde Ent-
schädigung geschuldet. Diese Auffassung gibt als altes Gewohn-
26 C. Christiansen, Über erworbene Rechte, Kiel 1856. Gierke,
Deutsches Privatrecht I S. 192ff.
2” So hat diese Theorie z.B. rein faktische Vorteile (Lage eines Gruud-
stückes an einer Öffentlichen Straße usf.) zu ‚Rechten‘ gestempelt (An-
liegerrecht). Fleiner, Umbildung zivilrechtl. Institute durch das öffent-
liche Recht S. 20.