372 $ 23. Polizeigewalt.
lungen aber auch eintreten mögen — die Polizei darf in ihren
Anforderungen nie über das durch das öffentliche Interesse ge-
botene Maß hinausgehen. Was an sich erlaubt ist, darf sie
nicht verbieten, um sich dadurch ihre allgemeinen Aufgaben zu
erleichtern.**
III. Der Ausübung der Polizeigewalt sind Schranken gesetzt,
die sich aus dem Wesen der Polizei unmittelbar ergeben.?®
1. Die Polizei hat die öffentliche Ordnung zu schützen.
Privatleben°’® und Privatwohnung sind der polizeilichen Kontrolle
archiv X S. 369. Reichsgericht in Zivils. Bd. 57, S. 224; 64, S. 363. Preuß.
OVG. 17. Januar 1911 (Spruchsammlung 1911 der DJZ. 8. 158).
#4 Sächs. OVG. v. 20. Dez. 1902 (Jahrb. IV S. 73). Preuß OVG.
6. Januar 1911: für einen öffentlichen, an sich zulässigen Aufzug darf
nicht um deswillen die Erlaubnis versagt werden, weil nicht ausreichende
Polizeiorgane zur Verfügung stehen, um die Teilnehmer und Zuschauer
in Schranken zu halten. (Reger XXXI 400). Abweichend von diesem
Grundsatz gestattet die Reichsgewerbeordnung $33 der Polizei, div Schank-
konzession zu versagen, wenn die Lage einer Wirtschaft ihre polizei-
liche Überwachung wesentlich erschweren würde. Landmann, I® S. 323.
Das Kgl. Sächs. OVG. 5. Oktober 1910 (Reger XXXI 253) hat eine
polizeiliche Verfügung geschützt, welche einem Wirt befohlen hatte, die
Fenster der alkoholfreien Wirtschaft nicht zu verhängen;; gerechtfertigt
wurde diese Verfügung damit, es bestehe Verdacht, daß auch alkoholhaltige
Getränke verabreicht und daß von Gästen unzüchtige Handlungen mit
Kellnerinnen vorgenommen würden. Das Urteil ist m. E. nicht ein-
wandfrei. — Die Vorschrift des Reichsvereinsgesetzes v. 19. April 1908
$ 12, derzufolge die Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen in
deutscher Sprache zu führen sind, ist dagegen in erster Linie nicht polizei-
lichen, sondern politischen Erwägungen entsprungen.
83 Schultzenstein, Zu den Grenzen der Polizeigewalt (DJZ. XVII
832). W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung 98. 17fl. Vgl. damit
auch Wolzendorff, Die Grenzen der Polizeigewalt im französischen
Recht (Archiv für öffentl. Recht XXIV S. 325). A. Baer, Staats- u.
verwaltungsrechtliches Praktikum, 1912, S. 25ff. Anschütz, Fälle und
Fragen des Staats- u. Verwaltungsrechts?, 1913, S. 40ff. — Ob die Polizei-
behörden diese Schranken im einzelnen Fall beobachtet haben, ist
Rechtsfrage und nicht Ernressensfrage. Infolgedessen sind die Ver-
waltungsgerichte zu einer Kontrolle auch nach diesen Richtungen berufen.
Siehe oben S. 245ff.
35® Die Polizei darf sich nicht in privatrechtliche Beziehungen und in
die Privatsphäre einmischen. Ungültig sind deshalb Polizeiverordnungen,
welche den Wirten die Abgabe von Branntwein auf Kredit verbieten
(Entsch. d. Preuß. OVG. Bd. 59, 363); oder ihnen vorschreiben, es dürften
die Kellnerinnen nicht auf Trinkgelder angewiesen sein (Reger XXXII