$ 23. Polizeigewalt. 373
entzogen.°® Für die Polizei entsteht ein Angriffspunkt erst, wenn
eine individuelle Tätigkeit öffentlich vorgenommen wird, oder
wenn ihre Wirkungen aus dem Privatleben und der Privatwohnung
in die Öffentlichkeit ausstrahlen. Nur über sog. ‚‚gesellschaft-
liche Äußerungen“ hat die Polizei Gewalt.”” Die Beseitigung des
Grünspans am Kochgeschirr kann die Polizei vom Privaten (so-
fern er keine öffentliche Wirtschaft betreibt) nicht verlangen,
wohl aber ist sie befugt, die Befestigung des Blumentopfes an-
zubefehlen, der auf dem Fenstersims nach der öffentlichen
Straße zu steht.?®* Aus diesen Gründen unterstehen der sicherheits-
und der sittenpolizeilichen Kontrolle alle öffentlichen Orte im
weiteren Sinne, d.h. alle Lokale, die einer unbeschränkten Zahl von
Einzelnen zugänglich sind. Daher ist z. B. die Polizei zuständig,
einer Kellnerin das Tragen einer undezenten Kleidertracht in
445); oder die Wirte dürften am Tage von Kontrollversammlungen an
militärische Kontrollpflichtige keine geistigen Getränke verkaufen (Preuß.
Verw.Bl. XXXIV 450) u.a. m. Auf der anderen Seite ist die Polizei in
ihrem Bereich durch keine privatrechtlichen Rücksichten gehindert.
Sie darf den Mieter aus der feuchten Wohnung, die Dirne aus einem
bestimmten Stadtviertel austreiben, ohne sich um bestehende Mietverträge
zu kümmern. Preuß. Verw. Bl. XXXIV 365; Entsch. d. Preuß. OVG. Bd. 3,
S. 337.
f 36 Unzulässig ist es, daß wider ein ausdrückliches Verbot des Mieters
(Ehemannes) ein Polizeibeamter in eine Privatwohnung eindringt, damit
unter seiner ‚passiven Assistenz“ die Ehefrau mit ihren gepackten
Koffern unbehelligt ausziehen kann. Preuß. OVG. 28. Oktober 1910 (Ent-
scheidungen Bd. 58, S. 264; Reger XXXI 419). Schultzenstein, Die
Grenzen der Polizeigewalt beim Schutze gegen sich selbst (DJZ. IX,
S. 8ıff., 129ff.).. Gültig ist dagegen eine Polizeiverordnung, welche aus
sicherheitspolizeilichen Gründen das Schließen der Häuser von 10 Uhr
abends an anordnet (DJZ. XVII 1533).
3” Über Kultushandlungen und Glaubensbetätigungen der Reli-
gionsgesellschaften und der Einzelnen hat die Polizei keine Gewalt, solange
diese Akte sich im Innern der Kultusgebäude und der Privatwohnungen
abspielen und keine Strafgesetze verletzen; sobald sie aber in der Öffent-
lichkeit vorgenommen werden, unterliegen sie „kultuspolizeilichen‘“
Beschränkungen. F. Fleiner, Schranken der Kultusfreiheit (Zeitschrift
für Schweiz. Recht, n. F., XXIII S. 23). Georg Meyer-Anschütz, Deut-
sches Staatsrecht, S. 8ll. Preuß. OVG. v. 11. Januar 1901 (Bd. 38,
9.58, betr. Schächtverbot in einer Schlachthausordnung). Kanzelmiß-
brauch: Strafgesetzbuch $ 130a und dazu Frank, Strafgesetzbuch !°, S. 250.
38 Qtto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I S. 259.