34 83. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechte.
Rechtssprichwort: ‚in Polizeisachen gibt es keine Appellation“
(nämlich an die Gerichte). Auf eine Entscheidung nach Rechthatte
daher nur der Bürger Anspruch, der seine Beschwerde gegen
die Obrigkeit zu einer Justizsache zu stempeln vermochte. Hierzu
reichte aber schon die Behauptung aus, die Obrigkeit habe in indivi-
duelle Rechte eingegriffen; dann lag eine ‚justizmäßige Polizei-
sache‘ vor. ‚Ob die Rechtsverletzung bei Privatsachen oder bei
Ausübung der landesherrlichen Gewalt in der Frage steht, ob
Rechte des Einzelnen oder des ganzen Staates den Streit aus-
machen, ob über Unrecht in Aufstellung einer allgemeinen Norm
oder in der Subsumtion, ob über Verletzung des Rechts in einer
Disziplinar-, Staats-, Kameral-, Steuer-, Gesetzgebungs- oder
Polizeisache geklagt wird, dies ist ganz gleichgültig‘ (Struben).®
Auf Grund dieser Auffassung erlangte der Private die Befugnis,
bei Verletzung seiner Rechte (Eigentum, Freiheit) durch obrig-
keitliche Akte den Schutz der Gerichte anzurufen. Zwar waren die
landesfürstlichen Territorialgerichte zur Entgegennahme von
Klagen gegen den Landesherrn oder die landesherrlichen Beamten
nicht zuständig. Denn seiner eigenen Gerichtsgewalt war der
Landesfürst nicht unterworfen. Aber dafür blieb dem Kläger
der Weg vor die Reichsgerichte geöffnet, und die Rechtsprechung
des Reichskammergerichts hat so die Bürger gegen den Mißbrauch
der landesfürstlichen Macht geschützt, indem sie „nach den
natürlichen Rechtsgrundsätzen‘‘ die Schranken bezeichnete, wel-
che die Staatsgewalt gegenüber den ‚„wohlerworbenen Rechten“
der Bürger innezuhalten hatte.!°
Von dieser Gerichtsbarkeit suchte sich jedoch die absolu-
tistische landesfürstliche Gewalt durch den Erwerb von kaiser-
® David Georg Struben, Gründlicher Unterricht von Regierungs-
und Justizsachen, Hildesheim 1733, S. 173ff. Gönner, Handbuch des
deutschen gemeinen Prozesses II S. 38.
0 G.H.v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, I S. 87ff.
Rudolf Smend, Brandenburg-Preußen und das Reichskammergericht
(Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Bd. XX
S. 161£f.).— Der kaiserliche und Reichskammergcerichts-Assessor Freiherr
v. Cramer (1772) hat uns in den 124 Bändchen seiner ‚Wetzlarischen
Nebenstunden‘ zahlreiche Beispiele für die im Texte erwähnte Praxis
des Reichskammergerichts aufbewahrt. Vgl. z. B. Bd. 33; Bd. 64, Abh. 5;
Bd. 70, Abh. 5; Bd. 85, Abh. 2. Vgl. auch Otto Mayer, Justiz und Ver-
waltung S. 7ff.