$ 3. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts. 37
verletzt worden war. Der Ersatzanspruch wegen Verletzung
wohlerworbener Rechte übernahm damit die Funktion einer
Rechtsschutzeinrichtung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts.
Es begründete keinen Unterschied, ob der staatliche Eingriff
rechtgemäß oder rechtswidrig erfolgt war. Es sei nur an den
Ausgangspunkt der ganzen Lehre, an die Expropriation, er-
innert.
Die soeben dargestellte Rechtsauffassung hatte alsbald ihre
Feuerprobe zu bestehen. Inzwischen war es zur Bildung einer
geschlossenen Staatsgewalt gekommen, und dieScheidung zwischen
der privaten Sphäre des Monarchen und seiner staatlichen Organ-
stellung war zur Anerkennung gelangt.'” Die nächste Folge
war eine Kräftigung der Staatsmacht und ein verstärktes Rechts-
schutzbedürfnis des Untertans. Diesem wurde durch den Ausbau
der Lehre von den wohlerworbenen Privatrechten genügt. Von
der Auffassung, die ‚„wohlerworbenen Rechte‘ seien die an-
geborenen Menschenrechte, ging man über zu der Behauptung,
„wohlerworbene Rechte‘ seien alle durch besondere Rechtstitel
begründeten Rechte, um schließlich in praxi dem Richter volle
Freiheit zu lassen, einIndividualrecht überall dort anzunehmen,
wo das Rechtsbewußtsein den Schutz des Individuums gegenüber
der Staatsgewalt verlangte. Während so die Gerichtspraxis ohne
langes Besinnen auch bloßen Interessen der Einzelnen den
Charakter von subjektiven Rechten zuerkannte,'® ließ sie sich
andrerseits dabei von der Vorstellung leiten, vollgültige In-
dividualrechte beständen allein auf dem Boden der Privat-
rechtsordnung. Soweit sie Ansprüche der Untertanen gegen die
öffentliche Gewalt anerkannte, drückte sie ihnen somit den
Stempel von Privatrechten auf.
Das Bestreben, die Verwaltung des absoluten Staates an
feste Rechtsregeln zu binden, hatte praktische Gestalt ge-
wonnen in einer Theorie, die auf großen Gebieten die öffentliche
Verwaltung dem Zivilrecht und der Zivilgerichtsbarkeit unter-
17 Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht II 8. 644ff., III S. 597.
A. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1905, S. 287. Vgl. auch Ph.
A. v.Segesser, Rechtsgeschichte der Stadt und Republik Lucern, III
(1857) S. 244-248; IV (1858) S. 720—723. Georg Meyer-Anschütz,
Deutsches Staatsrecht S. 243.
18 G.H.v. Berg, Teutsches Policeyrecht, I S. 165f{f.