56 $ 4. Verwaltungsrecht.
für dieses Rechtsverhältnis fehlt. Hier zeigt sich die formale
Unvollkommenheit des öffentlichen Rechts gegenüber dem Zivil-
recht. Es gibt in keinem deutschen Staate eine umfassende
Kodifikation des für die Verwaltung geltenden öffentlichen Rechts.
Die Normen sind in Einzelgesetzen zerstreut, die sich rein äußerlich
an die verschiedenen Verwaltungszweige anschließen und in
denen zudem nicht selten das juristisch Wesentliche von einer
üppigen Reglementierung verwaltungstechnischer Einzelheiten
überwuchert wird. Der Verwaltungsgesetzgebung fehlt der All-
gemeine Teil, welcher durchgreifende, das ganze Verwaltungs-
recht beherrschende Rechtsgrundsätze aufstellte. Sind daher
Rechtsvorschriften für ein konkretes Verhältnis öffentlichrecht-
licher Natur weder in der Gesetzgebung, noch im Gewohnheits-
recht vorhanden, so müssen sie von der Wissenschaft zu Tage
gefördert werden.
In einem solchen Fall ist zunächst zu ermitteln, ob das Rechts-
verhältnis nicht einem Rechtsinstitute angehört, das auf einer
früheren Stufe der Rechtsentwicklung dem Privatrecht zugezählt
wurde, aber nach der Anschauung der Gegenwart dem öffent-
lichen Rechte angehört. Trifft dies zu, so besteht entweder die
Möglichkeit, daß das alte Gesetz auch auf dem neuen Rechts-
boden inhaltlich weiter gilt, aber in öffentlichrechtlicher Um-
prägung,?' oder daß auf dem neuen Rechtsboden eine Gewohnheit
20 Anders, wenn durch die öffentlichrechtliche Charakterisierung
das Rechtsverhältnis einem bereits bekannten, rechtlich geordneten
Institute zugewiesen wird. Beispiel: Eine Gemeinde kauft eine private
Wasserversorgungsanlage. Sie gestaltet sie im Laufe der Jahre zu einer
öffentlichrechtlichen Anstalt, zu einem Bestandteil ihres Verwaltungs-
apparats aus (vgl. unten $ 18). Demgemäß muß nunmehr der früher privat-
rechtliche Entgelt für die Benutzung der Anstalt als Gebühr behandelt
werden. Damit finden darauf ohne weiteres die Vorschriften über die
öffentlichen Abgaben Anwendung.
21 Der Bayr. Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Urteilen (vom 31. Okt.
1902 und 15. Nov. 1905) ausgesprochen, daß, entgegen der früheren Praxis
heute die Normen über die Kirchenbaulast dem öffentlichen Rechte
zuzuzählen sind und daß daher Streitigkeiten über Leistungen für den
Kirchenbau vor die Verwaltungsgerichte gehören. In dem Gebiete
Bayerns, in dem vor dem 1. Januar 1900 das Allg. Preuß. Landrecht
gegolten hat, sind daher gemäß EG zum BGB., Art. 132, die alten preußi-
schen Vorschriften über die kirchliche Baulast (APLR., II, 11, $$ 699 ff.)
in Geltung geblieben. Sammlung von Entscheidungen des Bayr. Verw.-
Ger.H. XXIV S. 225; XXVIL S. 29.