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von ihr zu einer gegebenen Zeit zur Geltung gebrachte Anschauung
dauernd gebunden bliebe.’*®
So ist auf verwaltungsrechtlichem Boden für die Entstehung
von Gewohnheitsrecht zur Ergänzung des gesetzten Rechtes nur
wenig Raum. Er ist dort vorhanden, wo eine gesetzliche Re-
gelung noch nicht Platz gegriffen hat, trotzdem eine recht-
liche Ordnung unabweisbar ist. Wie die Beobachtung zeigt, bildet
sich solches Gewohnheitsrecht innerhalb engerer Interessenten-
kreise, als Observanz. Eine gewohnheitsrechtliche Norm dieser
Art pflegt sich z. B. zu entwickeln dort, wo eine öffentliche Last
auf einer Mehrheit von rechtlich unverbundenen physischen oder
juristischen Personen ruht und es gilt, in Ermangelung einer ge-
setzlichen Anordnung einen Verteilungsmaßstab unter den In-
teressenten zu gewinnen, so z.B. in den Fällen, in denen die auf
einem ganzen Interessentenverbande ruhendeWegebau-oder Wege-
unterhaltungslast auf die einzelnen Verpflichteten (Gemeinden,
Gutsherrschaft) verteilt werden muß.°’ In gleicher Weise regeln
Observanzen nicht selten die Pflichten, die sich aus der gleich-
zeitigen Benutzung derselben Pfarrkirche durch zwei Gemeinden
ergeben,°® u. a. m.
Es wurde oben ($ 4) dargelegt, wie die Praxis häufig in die
Lage kommt, die durch das geschriebene Recht hindurchschim-
mernden unausgesprochenen allgemeinen Rechtsgedanken ans
Tageslicht zu ziehen. Die so gewonnenen Sätze kommen zur
Anwendung, weil sie durch eine wissenschaftliche Überzeugung
gestützt werden. Man denke z. B. an die Ausbildung des
66 Wenn das Gesetz der Verwaltungsbehörde das Recht einräumt,
zur Abwendung einer Seuchengefahr den Untertanen bestimmte sanitäre
Pflichten aufzuerlegen, so ist die Behörde nicht an das gebunden, was
sie 30 Jahre lang als ausreichend betrachtet hat. Sie darf jederzeit von
dem Bürger neue und andersgeartete Leistungen verlangen, wenn das
Gemeinwohl dies gebietet.
57 Vgl.z.B.Germershausen, Wegerechtund Wegeverwaltungin Preu-
Ben, I? Register verb. ‚‚Observanzen‘. Hans Hoffmann, die Wegebaulast
in Pommern, S. 24ff. (Tübinger staatswissenschaftliche Dissertation, 1907).
58 Beispiele bei Kamptz und Delius, Rechtsprechung des Reichs-
gerichts und des Kammergerichts auf den Gebieten des öffentl. Rechts
I S. 156ff. Vgl. auch Urt. des bayr. Verw.-Ger.-H. v. 31. Juli 1903 (Samm-
lung von Entsch. des bayr. Verw.-Ger.-H. XXIV S. 583).