Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Arbeiterversicherung (Allgemeines) 
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die UV der Seeleute und anderer bei der See- 
schiffahrt beteiligten Personen“ in der Form einer 
eigenen Kodifikation publiziert. 
3. Die Einführung der Invaliden-, ein- 
schließlich der Altersversicherung. Sie erfolgte 
durch das „Gesetz betr. die Invaliditäts= und 
Altersversicherung“ v. 22. 6. 89, welches mit dem 
1. 1. 91 in Wirksamkeit trat. 
4. Die Reform der Kranken-, Unfall- und 
Invalidenversicherung. 
a) Zur Reform der KV erging zuerst die No- 
velle v. 10. 4. 92, auf Grund deren die abgeänderte 
Fassung des KVG unter gleichem Datum vom 
RK publiziert wurde. Dieselbe ist aber bereits 
weiter durch zwei Novellen v. 30. 6. 00 und v. 
25. 5. 03 verändert worden, neben denen dann 
noch der Abschnitt B des oben Ziff. 2 b besproche- 
nen R v. 5. 5. 86 in Geltung steht, während 
die auf die KV bezüglichen Bestimmungen des 
Ausd G (oben Ziff. 2a) bereits in die Novelle von 
1892 hineingearbeitet worden waren. 
b) Die UV hat innere Veränderungen und 
äußere Umformung durch das „Gesetz betr. die 
Abänderung der U##“ v. 30. 6. 00, in der 
Fassung der Bek des RK v. 5. 7. 00 erhalten. 
Dieses Gesetz, häufig auch als Haupt- oder Mantel- 
gesetz bezeichnet, regelt selbständig nur einige we- 
nige Materien der UV, namentlich die „Schieds- 
gerichte“, das „Reichsversicherungsamt“ und die 
„Landesversicherungsämter"“. Im übrigen hat es, 
unter nunmehriger vollständiger Aufhebung des 
Ausd G (oben Ziff. 2 a) die übrigen, nach Wirt- 
schaftsgebieten gesonderten 4 UVG als „Anlagen“ 
sich angegliedert, so das „Gewu VG“, das „UVG 
für Land= und Forstwirtschaft“, das „Bau-UVG“ 
und das „See UVG“. 
e) An die Stelle des G v. 22. 6. 89 (oben Ziff. 3) 
ist jetzt das „Invaliden VG“ v. 13. 7. 99 in der 
Fassung der Bek des RK v. 19. 7. 99 getreten. 
Die Ziff. 4a—c enthält danach zugleich das 
jetzige Inventar der eigentlichen Arb VGesetzgebung, 
abgesehen von ihrer Ausbuchtung zur Beamten- 
und Gefangenen-Unfallfürsorge. Von den davon 
ausgehenden ferneren Bestrebungen zur Ver- 
einheitlichung, Vereinfachung und weiteren Er- 
strechung der Arb V nach Fürsorgegrund und Per- 
sonenkreis wird unten (#5 6) die Rede sein. 
Geltungsgebiet. Die Arbeiterversicherungsge- 
sette gelten im Gesamtgebiete des Deutschen 
Reiches, einschließlich Helgolands, nicht aber in 
den Schutzgebieten. 
4. Rechtsnatur der Arbeiterversicherung. 
Die Arb V trägt ihren Namen insofern jedenfalls 
mit Recht, als sie die Arbeiter u. dgl. für gewisse 
Fälle wirtschaftlich nachteiliger Lebensschicksale 
des Empfangs bestimmter unterstützender Lei- 
stungen versichert. Allein über ihre recht- 
liche Auffassung ist damit noch nicht entschieden; 
vielmehr besteht eine viel erörterte Streitfrage 
darüber, ob die Arb B auch im Rechtssinne eine 
wirkliche Versicherung ist oder ob sie ohne 
Versicherungscharakter eine Arbeiter fürsorge 
durch öffentliche Verbände mit, soweit nötig, ge- 
setzlich geregelter Mittelbeschaffung darstellt. Die 
erste Ansicht faßt den privatrechtlichen Versiche- 
rungsvertrag (RG v. 30. 5. 08) und die Arb V zu 
einem grundsätzlich einheitlichen Rechtsinstitut zu- 
sammen, die andere behauptet ebenso grundsätzlich 
die innere Wesensverschiedenheit beider. 
  
Es ist richtig, daß die Arb B manche Anklänge an 
das private Versicherungswesen darbietet, so na- 
mentlich bei der begrifflichen Bestimmung der 
Leistungsgründe und bei der Lastenverteilung, 
und daß überhaupt die Annäherung an das Ver- 
sicherungsrecht auf dem Gebiete der J stärker ist, 
als in den beiden anderen Zweigen der ArbB: 
aber im ganzen überwiegen die Abweichungen 
doch so sehr die Gleichheiten und Aehnlichkeiten, 
daß es theoretisch und praktisch keinen Wert mehr 
hat, sondern im Gegenteil irreführen muß, Privat- 
und Arb B einem einheitlichen Oberbegriff zu 
unterstellen. So tritt bei der letzteren zunächst 
schon die im Vertrag sich ausdrückende Freiwillig- 
keit völlig zurück hinter der gesetzlichen, mit Ein- 
tritt in ein Arbeitsverhältnis erfolgenden Begrün- 
dung der Rechtsverhältnisse: Die Selbstfürsorge, 
wie sie sich im privaten Versicherungs Vt darstellt, 
verwandelt sich in staatliche Zwangsfürsorge mit 
erzwungenen beiderseitigen Leistungspflichten. 
Und diese letzteren sind der Sache nach keine 
gegen seitigen: das wechselseitige Austausch- 
verhältnis (Synallagma), welches bei der Privat- 
versicherung die beiden Seiten des einheitlichen 
Rechtsverhältnisses verbindet, ist im Interesse der 
sicheren Erreichung der Fürsorgezwecke zer- 
schnitten oder doch innerlich gelöst. Die Versiche- 
rungsleistungen erfolgen nicht um der Beiträge 
willen, sondern die Beiträge sind nur ein unent- 
behrlicher Notbehelf für die Durchführung der 
gesetzlichen Fürsorge. Nicht ein zweiseitiges, aber 
einheitliches Rechtsverhältnis, sondern zwei ein- 
seitige, Fürsorge und Beitrag, liegen vor. Daher 
kann die Fürsorge auch in erheblichem Umfange 
eine ganz oder zum Teil entgeltlose sein (Unfall- 
fürsorge in Staats= usw. Betrieben, Zuschüsse der 
Gemeinde K V, Reichszuschuß zu den Invaliden= 
und Altersrenten), die Beiträge werden nicht von 
den Zwangsversicherten, sondern von den Arbeit- 
gebern eingezahlt und zum Teil selbst getragen, 
und die Gewährung der Fürsorgeleistung ist, we- 
nigstens auf den Gebieten der Kranken- und U, 
unabhängig von der tatsächlichen Einzahlung der 
Beiträge und von der Erfüllung der zur Sicherung 
derselben vorgeschriebenen Formalien. Und auch 
auf dem Gebiete der JV zeigt doch die mehrjährige 
Zulässigkeit einer Nachbringung von Pflichtbei- 
trägen, selbst nach Eintritt des Versicherungs- 
falles, zeigen doch die Uebergangsbestimmungen 
mit ihrer weitreichend beitragslosen Fürsorge, 
daß als eigentlicher Rechtsgrund der letzteren nicht 
die Beitragsleistung, sondern die im Dienste der 
Gesamtheit von den Versicherten geleistete Arbeit 
zu betrachten ist. Dazu kommen erhebliche Ab- 
weichungen im einzelnen: Eintritt der K V trotz 
schon vorhandener Leidenszustände, sofern nur 
die Arbeit ernstlich begonnen wird, weitreichender 
Mangel einer Abstufung der Beiträge nach dem 
Maße des Risikos u. a. m. So ist die Arb V eigen- 
artige sozialpolitische Fürsorge, aber doch wiederum 
nicht Armenpflege, weil ihre Begründung auf die 
geleistete Arbeit, die sie als eine Art öffentlichen 
Dienstes erfaßt, beide von einander scheidet und 
namentlich in der Loslösung der Fürsorgeleistung 
von der Bedürftigkeit, in der Gewährung fester 
Rechtsansprüche und in der Beteiligung der Ar- 
beiter an Verw und Rechtsprechung Momente in 
die Arb V einführt, welche der Armenpflege völlig 
fremd sind. Praktische Bedeutung aber hat die Er- 
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