Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Armenwesen 
  
1. Im Geltungsgebiet des Gesetzes über 
den Unterstützungswohnsitz. 
A. Die Org ane der öffentlichen Armenpflege. 
4 a) Ortsarmenverbände. d) Landarmenverbände. 
B. Die armenrechtlichen Berpflichtungen. 15. Vor- 
läufige Fürsorgepflicht. # 6. Endgültige Fürsorgepflicht. 
a) der Ortsarmenverbände, b) der Landarmenverbände, 
e) anderer Berbände auf Grund von Sonderbestimmungen 
(Dienstort, aus dem Auslande zurückkehrende Deutsche, Aus- 
länder, Unvermögen des Ortsarmenverbandes) 1 7. In- 
halt der Berpflichtung. 1. Art und Maß der Unterstützung. 
2. Erstattung vorläufiger Aufwendungen. 8. Uebernahme 
in eigene Fürsorge. 4. Armenrechtliche Familiengemein- 
schaft. 5. Beihilsen an unvermögende Ortsarmenver= 
bände. 6. Die Ortsarmenverbände als Organe der Land- 
armenverbände. 
C. Das Armenstreitverfahren. 8. a) Gegen- 
stand, b) Entscheidende Behörden (Zuständigkeitstabelle), 
c) Ordnung des VBerfahrens, d) Kosten, e) Vollstreckung. 
2. Bayern. 
1* 9. 1. Organe der Armenpflege. 2. Rechtsgrund der 
armenrechtlichen Verpflichtung. a) vorläufige Fürsorge- 
pflicht, v) endgültige Fürsorgepflicht, c) Berpflichtung 
auf Grund von Sonderbestimmungen (Staatskasse, Dienst- 
ort, Pensionskassen). 38. Inhalt der Berpflichtung. 
4. Armenstreitverfahren. 
3. Elsaß-Lothringen. #33 10. 
4. Gothaer und Eisenacher Konvention. 5 11. 
5. Berhältnis zum Ausland. 4 12. 
# 1. Begriff und Inhalt. Von der — theoretisch 
in verschiedener Weise zu begründenden — Auf- 
fassung ausgehend, daß der leibliche Untergang 
eines Menschen aus Mangel an Unterhaltsmitteln 
im öffentlichen Interesse nicht geduldet werden 
dürfe, statuiert die Rechtsordnung eine Pflicht zur 
öffentlichen Unterstützung in den- 
jenigen Fällen, in welchen der Mangel an Unter- 
haltsmitteln weder durch Selbsthilfe noch durch 
anderweite, auf privatrechtlichen Ansprüchen oder 
freier Liebestätigkeit beruhende Hilfeleistung ab- 
gewendet wird bezw. abgewendet werden kann. 
Die Gesamtheit derjenigen Normen, durch welche 
diese Verpflichtung in Ansehung der zur Uebung 
der Armenpflege berufenen Organe auf der einen, 
der zur U zuzulassenden Personen auf der andern 
Seite geregelt wird, bildet das ARecht. Zum 
Unterschiede von anderen, in ihrem Endzweck auf 
den gleichen Erfolg (U bedürftiger Personen) ge- 
richteten gesetzlichen Verpflichtungen, wie nament- 
lich die der Dienstherrschaften, Arbeitgeber, Kran- 
kenkassen, Familienangehörigen gegenüber dem Ge- 
sinde, den Arbeitnehmern, den Versicherten, den 
Familienangehörigen, ist das wesentlichste Merk- 
mal der i, e. S. armenrechtlichen Ver- 
pflichtung, daß die Verpflichteten niemals Privat- 
personen oder Privatvereine sein können, sondern 
daß sie im Rahmen der allgemeinen Rechts O 
Mitträger der öffentlichen Gewalt 
sein und den Aufwand für die Erfüllung ihrer 
armenrechtlichen Verpflichtungen aus öffent- 
lichen Mitteln bestreiten müssen, sowie daß 
innerhalb des von dem ARecht beherrschten Gebiets 
jeder Bezirk mit einem derartigen zur öffent- 
lichen APpflege verpflichteten Organ ausge- 
stattet sein und das gesetzlich erforderte Maß von 
Hilfeleistung durch diese Organe an jedem Orte und 
zu jeder Zeit gewährleistet werden muß. Auch be- 
darf es der Festsetzung von Voraussetzungen, an 
  
welche im einzelnen Falle die Verpflichtung zur U 
angeknüpft wird; diese können an die allgemeinen 
durch Reichs-, Staats-, Gemeindeangehörigkeit be- 
gründeten Rechte und Pflichten angeknüpft, oder 
es können Merkmale der besonderen armenrecht- 
lichen Zugehörigkeit (Aufenthalt, W u. dgl.) 
festgestellt werden, welche ein Individuum mit 
einem bestimmten Bezirk dauernd oder vorüber- 
gehend verbinden. Je besser die AGesetzgebung 
imstande ist, die zutreffenden Merkmale einer sol- 
chen Angehörigkeit festzustellen, um so besser wird 
sie auch der Aufgabe gerecht, die der armenrecht- 
lichen Verpflichtung entsprechende öffentliche Last 
(ALast) nach gerechtem Maßstabe zu verteilen. 
#§# 2. Die geschichtlichen Grundlagen des Armen- 
rechts. Die deutsche Ggebung hat sich in den ein- 
zelnen Staaten in den mannigfaltigsten Formen, 
jedoch durchweg auf der Grundlage des in der 
Gemeindebildung zum Abschluß gekommenen Ge- 
nossenschaftsrechts entwickelt. Sein wesentlicher 
Inhalt ist, daß die Angehörigen der Gemeinde- 
genossenschaft als solche die wirtschaftlichen Vor- 
teile, das Recht zur Niederlassung, Eheschließung, 
zum Gewerbebetrieb besitzen und im Falle von 
Krankheit und Armut Anspruch auf U durch die 
Gemeinde erheben können. Diese im übrigen 
auch sehr ungleichmäßig durchgeführte Versor- 
gung beschränkte sich aber auf die wirklichen An- 
gehörigen und schloß streng die der Gemeinde- 
gensanchart nicht zugehörigen Einwohner und 
remdgenössigen aus, die im Falle der Ver- 
armung unnachsichtlich aus dem Bereich des 
Gemeinwesens fortgewiesen wurden und zwar 
nicht, um sie einer geordneten Versorgung an an- 
derer Stelle zuzuweisen, sondern um sich ihrer zu 
entledigen. Hieraus entstand das Uebel einer weit 
verbreiteten H Losigkeit, die die davon Betroffenen 
ruhelos umhertreibt, sie auf die Landstraße wirft, 
dem Bettel, Diebstahl, Raub und Schlimmerem 
zuführt. Die schärfsten Bettelverbote und die 
grausamsten auf ihre Uebertretung gesetzten Stra- 
fen erwiesen sich solange als wirkungslos, als nicht 
für die HLosen in solcher Weise gesorgt wurde, 
daß sie vor dem äußersten Mangel bewahrt blieben. 
Eine Besserung war von den Gemeinden selbst, 
deren Wirkungskreis auf ihr Weichbild beschränkt 
blieb, nicht zu erwarten. Sie wurde in der allmäh- 
lichen Umwandlung des mittelalterlichen in den 
modernen Staat durch das allmähliche Ueber- 
wiegen eines neuen Faktors — der Staatsgewalt 
— bewirkt, die gleichzeitig dem Bedürfnis einer 
neuen Staats= und Wirtschaftsgemeinschaft Rech- 
nung zu tragen hatte. Der Staat hatte ein 
ganz allgemeines Interesse daran, die einzelnen 
Gemeinden nicht gegeneinander sich abschließen zu 
lassen, sondern ihnen freien Austausch der wirt- 
schaftlichen Kräfte zu ermöglichen. Hieraus er- 
wuchsen die Forderungen nach allgemeiner wirt- 
schaftlicher Freiheit, die wir heut in den Begriffen 
der Freizügigkeit und der Gewerbe- 
freiheit zusammenzufassen gewohnt sind. Damit 
ist die Forderung gegeben, jedem zu gestatten, sich 
auch ohne oder sogar gegen den Willen der Ge- 
meinde in ihrem Bezirk niederzulassen, die Ehe zu 
schließen und ein Gewerbe zu betreiben. Während 
aber diese Befugnis, so unbequem sie manchem 
Gemeinwesen sein mochte, ihm im Grunde keine 
Last auferlegte, ja vielfach durch den Zuzug frischer 
Arbeitskräfte Vorteil brachte, blieb die Versorgung 
 
	        
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