Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
I. Armenrecht (Verpflichtungen) 
195 
  
schriften verloren oder selbständig einen neuen er- 
worben haben, so daß also der Zeitpunkt des voll- 
endeten 16. Lebensjahres in diesen Fällen ent- 
scheidend ist. Bis zu diesem Zeitpunkte sind Aufent- 
halt und Abwesenheit in der Person des Kindes 
gleichgüttig. 
2. Der Verlust des UW tritt ein a) durch Erwerb 
eines anderen UW, b) durch einjährige ununter- 
brochene Abwesenheit nach zurückgelegtem 
16. (früher 24., bezw. 18.) Lebensjahre. Der Ver- 
lustgrund zu a) versteht sich von selbst, da dieser 
Erwerb nur durch gleich lange dauernden Aufent- 
halt vollzogen werden kann. 
3. Der Fristenlauf bei Erwerb und Verlust des 
UW unterliegt den gleichlautenden Vorschriften 
der §# 11—14 und 23—27, welche das Nähere 
darüber festsetzen, wann die ein (früher zwei-jährige 
Aufenthalts-- bezw. Abwesenheitsfrist be ginnt, 
wann sie ruht und wann sie unterbrochen 
wird. Hierfür ist das ganz allgemein entscheidende 
Merkmal die unter freier Würdigung der Umstände 
zu ermessende Tatsächlichkeit des Aufent- 
halts oder der Abwesenheit seitens eines zur selb- 
ständigen Erwerbung des UW fähigen und im 
Stande freier Selbstbestimmung be- 
findlichen Individuums. 
In diesem Sinne ist ein unter äußerem Zwange 
oder geistiger Unzurechnungsfähigkeit begonnener 
Aufenthalt nicht geeignet, die Frist beginnen 
zu lassen; die rechtliche Handlungsunfähigkeit 
(z. B. bei einem Verschwender, einem Haussohne) 
fällt dagegen nicht in Betracht. Ausdrücklich aus- 
geschlossen ist der Beginn durch Eintritt in 
eine Kranken--, Bewahr= oder Heilanstalt (§ 11), 
weil die OA#, welche im Besitz derartiger An- 
stalten sind, hierdurch erheblich geschädigt werden 
würden. Gleichgültig ist es hierbei, ob die Anstalts- 
pflege aus eigenen oder öffentlichen Mitteln be- 
zahlt wird; dagegen ist es dem einmal begonnenen 
Aufenthalt unschädlich, wenn in der Zwischenzeit 
der Eintritt in eine solche Anstalt erfolgt und sich 
die Unterbringung nicht als Akt der öffentlichen 
Aß#Pflege darstellt. Nicht als ein die freie Selbst- 
bestimmung ausschließender Umstand gilt die An- 
stellung oder Versetzung eines Geistlichen, Lehrers, 
Beamten sowie einer (nicht lediglich ihrer Militär= 
pflicht genügenden) Militärperson (§ 26). — Die 
Frist ruht, wenn und so lange nach gültig be- 
gonnenem Aufenthalt die freie Selbstbestimmung 
ausgeschlossen war (5§ 12, z. B. dazwischen einge- 
tretene Geisteskrankheit E. 5 1) und ferner wäh- 
rend der Dauer der von einem A## gewährten öf- 
fentlichen U. Inrn solchen Fällen werden An- 
fang und Ende bezw. die unterstützungsfreien Zeit- 
räume zusammengerechnet. Diese letztere, im be- 
sonderen Interesse der AV gegebene Vorschrift ist 
weitester Deutung und dementsprechendem Miß- 
brauch zugänglich, weil durch unnötige und lange 
dauernde vorläufige U auf Kosten des endgültig 
verpflichteten OA## der Erwerb des UW im eigenen 
Bezirke des betr. OA## gehindert und von dem 
ersteren wiederum durch Ermöglichung eines unter- 
stützungsfreien Aufenthalts im fremden Bezirk der 
Verlust des UW gefördert werden kann, eine Klar- 
stellung aber im ganzen wegen der eigentümlichen, 
lokal bedingten Natur der Apflege sehr schwierig 
ist. Ueberdies ist der Begriff der „öffentlichen U“ 
so schwankend, die Berechnung ihrer Zeit- 
dauer so verschieden, daß eine feste Regel 
  
  
  
schlechterdings nicht aufzustellen ist. Aus der über- 
reichen Rechtsprechung ist als von grundsätzlicher 
Bedeutung folgendes hervorzuheben: Eine durch 
einen A## zwar verabreichte, aber nicht aus öffent- 
lichen Mitteln entnommene U gilt nicht als öffent- 
liche; umgekehrt ist eine scheinbar private U als 
öffentliche zu erachten, wenn sie unter Umgehung 
der armenrechtlichen Verpflichtung auf Veran- 
lassung oder in Mitwirkung des Verbandsvorstandes 
verabfolgt ist, z. B. Kollekte des Ortsvorstehers 
unter den Gemeindemitgliedern, heimliche U an 
fremdem Orte bis zum Erwerb eines neuen UW# 
daselbst, Ausstattung einer Frau, um einen Mann 
mit auswärtigem UW zur Eheschließung mit ihr 
zu veranlassen usw. Die U muß von vornherein 
den Charakter der öffentlichen U haben, so daß die 
von Privatleuten zur Abwendung der ersten Not 
gewährte Hilfe nur dann als solche zu erachten ist, 
wenn sie nach den Umständen des Falls nachträglich 
von dem A# zu genehmigen oder durch bestimmte 
Personen (Aerzte, Apotheker, Hebammen) nach 
vereinbarten Grundsätzen zu leisten war. Ent- 
scheidend ist ferner der Zeitpunkt der Gewährung, 
nicht der etwaigen Erstattung oder Bezahlung der 
betr. Rechnung an Vermieter, Lieferanten u. dgl. 
Anlangend die zur Anrechnung kommende Zeit- 
dauer sind Arzneimittel als auf 1 Tag, einmalige 
sogen. Extral als auf 1 Monat gewährt erachtet 
worden. Wegen Hingabe von Kleidungsstücken ist 
negativ ausgesprochen worden, daß sie als außer- 
ordentliche U von kurzer Dauer anzusehen und im 
konkreten Falle der Erwerb des UW durch sie nicht 
gehindert war, während in einem andern Falle die 
Mutter eines Kindes, dem in bestimmten Zeiträu- 
men, aber regelmäßig eine U zur Beschaffung von 
Kleidung gewährt wurde, als dauernd unterstützt 
betrachtet wurde, obwohl die U tatsächlich jedesmal 
nur als einmalige gewährt worden war (E. 33 11). 
Krankenpflege wird nach der Dauer der Verpfle- 
gungstage berechnet. Wie willkürlich, aber auch wie 
schwierig im ganzen diese Unterscheidungen sind, er- 
gibt E. 19 30, wo die öftere kontinuierliche Gewäh- 
rung von Arzneimitteln als hinreichend erachtet ist, 
un fürdie ganze Zeitdauer den Fristenlauf zuhem- 
men (vgl. weiter unten: Erstattungswesen). — 
Unterbrochen wird der Lauf der Frist nur 
durch den von einem A## auf Grund des 556 FG 
gestellten Antrag auf Anerkennung der Verpflich- 
tung zur Uebernahme eines Hilfsbedürftigen. # 5 
JG läßt die Ausweisung eines neu Angezogenen, 
der den UW am Aufenthaltsorte noch nicht er- 
worben und öffentlich hat unterstützt werden müs- 
sen, nur zu, wenn die Uaus anderen Grün- 
den als wegen einer nur vorüber- 
gehenden Arbeitsun fähigkeit not- 
wendig geworden ist. Das Vorhandensein einer 
solchen, mit positivem Ausdruck als dauernd 
zu bezeichnenden Arbeitsunfähigkeit ist mithin un- 
bedingte Voraussetzung der Unterbrechung, die 
selbst durch ein Anerkenntnis des verpflichteten 
O# nicht geschaffen wird, falls sie nicht objektiv 
vorhanden ist, vgl. E. 138 29. Die Unter- 
brechung erfolgt mit dem Tage der Absen- 
dung des Antrages und gilt als nicht erfolgt, wenn 
der Antrag nicht innerhalb 2 Monaten weiter ver- 
folgt, oder wenn er erfolglos geblieben ist. Die 
Unterbrechung hat im Gegensatz zum bloßen Ruhen 
die Wirkung, daß der bisher verflossene Zeitraum 
überhaupt nicht zur Anrechnung kommt, und bei 
137 
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.