I. Armenrecht (Verpflichtungen)
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schriften verloren oder selbständig einen neuen er-
worben haben, so daß also der Zeitpunkt des voll-
endeten 16. Lebensjahres in diesen Fällen ent-
scheidend ist. Bis zu diesem Zeitpunkte sind Aufent-
halt und Abwesenheit in der Person des Kindes
gleichgüttig.
2. Der Verlust des UW tritt ein a) durch Erwerb
eines anderen UW, b) durch einjährige ununter-
brochene Abwesenheit nach zurückgelegtem
16. (früher 24., bezw. 18.) Lebensjahre. Der Ver-
lustgrund zu a) versteht sich von selbst, da dieser
Erwerb nur durch gleich lange dauernden Aufent-
halt vollzogen werden kann.
3. Der Fristenlauf bei Erwerb und Verlust des
UW unterliegt den gleichlautenden Vorschriften
der §# 11—14 und 23—27, welche das Nähere
darüber festsetzen, wann die ein (früher zwei-jährige
Aufenthalts-- bezw. Abwesenheitsfrist be ginnt,
wann sie ruht und wann sie unterbrochen
wird. Hierfür ist das ganz allgemein entscheidende
Merkmal die unter freier Würdigung der Umstände
zu ermessende Tatsächlichkeit des Aufent-
halts oder der Abwesenheit seitens eines zur selb-
ständigen Erwerbung des UW fähigen und im
Stande freier Selbstbestimmung be-
findlichen Individuums.
In diesem Sinne ist ein unter äußerem Zwange
oder geistiger Unzurechnungsfähigkeit begonnener
Aufenthalt nicht geeignet, die Frist beginnen
zu lassen; die rechtliche Handlungsunfähigkeit
(z. B. bei einem Verschwender, einem Haussohne)
fällt dagegen nicht in Betracht. Ausdrücklich aus-
geschlossen ist der Beginn durch Eintritt in
eine Kranken--, Bewahr= oder Heilanstalt (§ 11),
weil die OA#, welche im Besitz derartiger An-
stalten sind, hierdurch erheblich geschädigt werden
würden. Gleichgültig ist es hierbei, ob die Anstalts-
pflege aus eigenen oder öffentlichen Mitteln be-
zahlt wird; dagegen ist es dem einmal begonnenen
Aufenthalt unschädlich, wenn in der Zwischenzeit
der Eintritt in eine solche Anstalt erfolgt und sich
die Unterbringung nicht als Akt der öffentlichen
Aß#Pflege darstellt. Nicht als ein die freie Selbst-
bestimmung ausschließender Umstand gilt die An-
stellung oder Versetzung eines Geistlichen, Lehrers,
Beamten sowie einer (nicht lediglich ihrer Militär=
pflicht genügenden) Militärperson (§ 26). — Die
Frist ruht, wenn und so lange nach gültig be-
gonnenem Aufenthalt die freie Selbstbestimmung
ausgeschlossen war (5§ 12, z. B. dazwischen einge-
tretene Geisteskrankheit E. 5 1) und ferner wäh-
rend der Dauer der von einem A## gewährten öf-
fentlichen U. Inrn solchen Fällen werden An-
fang und Ende bezw. die unterstützungsfreien Zeit-
räume zusammengerechnet. Diese letztere, im be-
sonderen Interesse der AV gegebene Vorschrift ist
weitester Deutung und dementsprechendem Miß-
brauch zugänglich, weil durch unnötige und lange
dauernde vorläufige U auf Kosten des endgültig
verpflichteten OA## der Erwerb des UW im eigenen
Bezirke des betr. OA## gehindert und von dem
ersteren wiederum durch Ermöglichung eines unter-
stützungsfreien Aufenthalts im fremden Bezirk der
Verlust des UW gefördert werden kann, eine Klar-
stellung aber im ganzen wegen der eigentümlichen,
lokal bedingten Natur der Apflege sehr schwierig
ist. Ueberdies ist der Begriff der „öffentlichen U“
so schwankend, die Berechnung ihrer Zeit-
dauer so verschieden, daß eine feste Regel
schlechterdings nicht aufzustellen ist. Aus der über-
reichen Rechtsprechung ist als von grundsätzlicher
Bedeutung folgendes hervorzuheben: Eine durch
einen A## zwar verabreichte, aber nicht aus öffent-
lichen Mitteln entnommene U gilt nicht als öffent-
liche; umgekehrt ist eine scheinbar private U als
öffentliche zu erachten, wenn sie unter Umgehung
der armenrechtlichen Verpflichtung auf Veran-
lassung oder in Mitwirkung des Verbandsvorstandes
verabfolgt ist, z. B. Kollekte des Ortsvorstehers
unter den Gemeindemitgliedern, heimliche U an
fremdem Orte bis zum Erwerb eines neuen UW#
daselbst, Ausstattung einer Frau, um einen Mann
mit auswärtigem UW zur Eheschließung mit ihr
zu veranlassen usw. Die U muß von vornherein
den Charakter der öffentlichen U haben, so daß die
von Privatleuten zur Abwendung der ersten Not
gewährte Hilfe nur dann als solche zu erachten ist,
wenn sie nach den Umständen des Falls nachträglich
von dem A# zu genehmigen oder durch bestimmte
Personen (Aerzte, Apotheker, Hebammen) nach
vereinbarten Grundsätzen zu leisten war. Ent-
scheidend ist ferner der Zeitpunkt der Gewährung,
nicht der etwaigen Erstattung oder Bezahlung der
betr. Rechnung an Vermieter, Lieferanten u. dgl.
Anlangend die zur Anrechnung kommende Zeit-
dauer sind Arzneimittel als auf 1 Tag, einmalige
sogen. Extral als auf 1 Monat gewährt erachtet
worden. Wegen Hingabe von Kleidungsstücken ist
negativ ausgesprochen worden, daß sie als außer-
ordentliche U von kurzer Dauer anzusehen und im
konkreten Falle der Erwerb des UW durch sie nicht
gehindert war, während in einem andern Falle die
Mutter eines Kindes, dem in bestimmten Zeiträu-
men, aber regelmäßig eine U zur Beschaffung von
Kleidung gewährt wurde, als dauernd unterstützt
betrachtet wurde, obwohl die U tatsächlich jedesmal
nur als einmalige gewährt worden war (E. 33 11).
Krankenpflege wird nach der Dauer der Verpfle-
gungstage berechnet. Wie willkürlich, aber auch wie
schwierig im ganzen diese Unterscheidungen sind, er-
gibt E. 19 30, wo die öftere kontinuierliche Gewäh-
rung von Arzneimitteln als hinreichend erachtet ist,
un fürdie ganze Zeitdauer den Fristenlauf zuhem-
men (vgl. weiter unten: Erstattungswesen). —
Unterbrochen wird der Lauf der Frist nur
durch den von einem A## auf Grund des 556 FG
gestellten Antrag auf Anerkennung der Verpflich-
tung zur Uebernahme eines Hilfsbedürftigen. # 5
JG läßt die Ausweisung eines neu Angezogenen,
der den UW am Aufenthaltsorte noch nicht er-
worben und öffentlich hat unterstützt werden müs-
sen, nur zu, wenn die Uaus anderen Grün-
den als wegen einer nur vorüber-
gehenden Arbeitsun fähigkeit not-
wendig geworden ist. Das Vorhandensein einer
solchen, mit positivem Ausdruck als dauernd
zu bezeichnenden Arbeitsunfähigkeit ist mithin un-
bedingte Voraussetzung der Unterbrechung, die
selbst durch ein Anerkenntnis des verpflichteten
O# nicht geschaffen wird, falls sie nicht objektiv
vorhanden ist, vgl. E. 138 29. Die Unter-
brechung erfolgt mit dem Tage der Absen-
dung des Antrages und gilt als nicht erfolgt, wenn
der Antrag nicht innerhalb 2 Monaten weiter ver-
folgt, oder wenn er erfolglos geblieben ist. Die
Unterbrechung hat im Gegensatz zum bloßen Ruhen
die Wirkung, daß der bisher verflossene Zeitraum
überhaupt nicht zur Anrechnung kommt, und bei
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