Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

Abgeordnete 13 
Abgeordnete 
Landtag, Reichstag, Wahlrecht.]) 
# 1. Begriff. 5 2. Rechtliche und politische Stellung: 1) 
Geschichtliches; 2) Das Wesen der Vertretung. # 3. Erwerb 
und Berlust der Abgeordnetenstellung. z 4. Die versönliche 
Rechtsstellung: 1) Das Recht auf Teilnahme; 2) Die freie 
Meinungsäußerung, a) Die Entstehung, b) Der Inhalt; 
3) Die Disziplin; 4) Straf= und zivilprozessualische Privi- 
legien; 5) Finanzielle Rechte. 
IX = Kammer; LT — Landtag; W — Wahl.) 
81. ff. Das ältere deutsche Recht be- 
zeichnete als A., Bevollmächtigte, Deputierte die- 
jenigen Mitglieder der Landstände, die, wie die 
Vertreter der Städte und Stifter, nicht aus eige- 
nem Rechte, sondern im Namen eines anderen, 
und nach dessen Instruktionen, Sitz und Stimme 
im LT führten. Heute versteht man unter A. im 
technischen Sinne namentlich die aus Volks-Wahl 
hervorgehenden Mitglieder der modernen Volks- 
vertretungen, in Deutschland also des RT und 
der LT. In weiterem Sinne werden auch die 
Vertreter der Kommunalverbände, wie z. B. der 
preußischen Kreistage und Provinzial LT, als A. 
bezeichnet. Hier ist nur von denen der staatlichen 
Gesamtvertretungen die Rede. In den größeren 
deutschen Staaten, die den LT auf dem Zwei- 
Koystem aufgebaut haben, steht neben der WK, 
die aus A. im eigentlichen Sinne zusammengesetzt 
ist, eine erste K (Herrenhaus, K der Reichsräte, 
Standesherren), die das Prinzip der Auslese ver- 
tritt. Sie besteht aus Mitgliedern, die erblich be- 
rechtigt, frei oder auf Präsentation vom Monar- 
chen berufen, oder auch von engeren Gruppen ge- 
wählt sind. In allen wesentlichen Beziehungen 
ist die persönliche Rechtsstellung der Mitglieder 
beider K der L die gleiche. Daher wird hier unter 
dem Stichwort „A." die persönliche Stellung der 
Mitglieder beider K der deutschen L2, denen auch 
die Bürgerschaften der freien Städte wesentlich 
gleichgestellt sind, und des deutschen RI behandelt. 
z 2. Rechtliche und politische Stellung. Die 
A. werden, um ihre rechtliche und politische Stel- 
lung zu kennzeichnen, als „Volksvertreter“, „Re- 
präsentanten“ bezeichnet. Auch die Berf (ogl. 
z. B. a 29 RV, a 83 Pr Verf) sprechen in diesem 
Sinne von „Vertretern des ganzen Volkes“. Die 
konstitutionelle, vornehmlich durch die Einrichtung 
der Volksvertretung charakterisierte Verf wird auch 
als „Repräsentativ Verf“ bezeichnet, und man hat 
aus der Tatsache dieser Repräsentation weittra- 
gende juristische und politische Folgerungen ge- 
zogen. Es ist daher notwendig, die Grundfrage 
nach dem Sinn und der Bedeutung dieser „Ver- 
tretung“ zu untersuchen und festzustellen, in wel- 
chem Sinne überhaupt von Repräsentation ge- 
sprochen werden kann. 
1. Geschichtliches. (Bgl. namentlich 
Mommsen, Roömisches Staatsrecht 2, 749 ff, 
Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht B. 3, 
Jellinek, Allgemeine Staatslehre? 530 ff, 
552 ff, Rehm, Allgemeine Staatslehre 285 ff.) 
Die antike Demokratie, in den griechischen Städten 
wie in Kom, charakterisiert sich durch die unmittel- 
bar geübte Herrschaftstätigkeit der Volksgemeinde. 
Mögen auch die vom versammelten Volke bestell- 
  
  
G — — — — 
— — — 
ten Magistrate praltisch als Repräsentanten dieses 
angesehen worden sein, so gewinnt der Gedanke 
einer staatsrechtlichen Repräsentation doch erst in 
der Kaiserzeit größere Klarheit, zunächst für den 
Senat, dann für den princeps selbst, der als Re- 
präsentant der „entmündigten souveränen Ge- 
samtheit“ angesehen wurde. Einen breiteren Bo- 
den gewinnt der Repräsentationsgedanke in dem 
mittelalterlichen, nicht einheitlich wie der antike, 
sondern aus einer Vielheit von Einzelnen und 
Verbänden zusammengesetzt gedachten Staate. 
Von der Korporationslehre der Legisten und Ka- 
nonisten gefördert, kommt die Auffassung der 
Ständeversammlungen, als Repräsentationen des 
ganzen Volkes, im späteren Mittelalter zur Herr- 
schaft. Den Charakter einer privatrechtlichen 
Stellvertretung der Wahl Verbände streift zuerst 
das englische Parlament ab, das allein die Stellung 
eines regelmäßig fungierenden, mächtigen Staats- 
organs gewinnt. Und im 17. Jahrhundert fin- 
det die Formulierung, daß jeder Engländer 
durch das Medium seines Vertreters im Parlament 
anwesend sei, allgemeine Anerkennung. Die Idce, 
daß diese Vertretung durch ein freies, nicht an In- 
struktionen gebundenes Mandat des Vertreters ge- 
übt werde, wird auch auf das Oberhaus übertragen. 
Aehnlich zeigt sich der Vertretungsgedanke schon vor 
der Revolution bei den französischen Generalstän- 
den. Nach der langen Unterdrückung durch den Ab- 
solutismus wird er von Montesquien im 18. Jahr- 
hundert neu erweckt und in bewußter Anlehnung 
an das englische Muster in ein System gebracht. 
Zuerst gewinnt er in Nordamerika, zugleich mit 
der Lehre Montesquieus von der Gewaltenteilung, 
praktische Geltung, und wird dann auch in Europa 
zu einem wichtigen Bestandteil des allgemeinen 
VerfIdeals, das die kontinentalen Völker dem 
Absolutismus entgegenstellen, und dessen Kern- 
punkt die Teilnahme des Volkes am Staat durch 
das Mittel einer gewählten Volksvertretung bildet. 
In der französischen Revolution bringt dann die 
Vereinigung des Rousseauschen Gemeinwillens, 
als Staatsherrscher, mit der Konstruktion Sieyes, 
daß die Konstituante Träger dieses Gemeinwillens 
sei, den Gedanken der modernen Repräsentation 
als einer nationalen Vertretung mit freiem Man- 
dat, zur vollen Reife. In der Verf v. 3. 9. 1791 
wird es deutlich ausgesprochen, daß die Repräsen- 
tanten solche des ganzen Volkes mit freiem Man- 
date sein sollen. 
Die deutschen Landstände waren in der Zeit 
ihrer Blüte, bis in das 17. Jahrhundert, an- 
scheinend auch auf dem Wege, eine Stellung als 
Landesvertretung in dem Sinne des englischen 
Parlaments zu erhalten. Aber der im 17. Jahrh. 
unaufhaltsam vordringende Absolutismus drückte 
sie auf die Stellung von Privilegkörperschaften 
zur alleinigen Vertretung des engen Kreises der 
hinter ihnen stehenden privilegierten Klassen herab. 
Im 18. Jahrhundert ist daher die Vorstellung von 
dem Repräsentativcharakter der Landstände fast 
ganz geschwunden. Wo sie nicht völlig beseitigt 
sind, finden sie sich wesentlich auf die Vertretung 
ihrer „sonderbaren Rechte und Privilegien“ be- 
schränkt, und die Vertreter der Korporationen an 
die erteilten Instruktionen rechtlich gebunden. 
(Vgl. Gierke 1, 576 ff. Hubrich, Die parla- 
mentarische Redefreiheit und Disziplin, 142 ff.) 
Die Neuerweckung landständischer Vertretungen
	        
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