Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
14 Abgeordnete 
in den deutschen Staaten nach der Gründung des voll zu verwirklichende. Ihr widerspricht eine 
deutschen Bundes hat dann, nicht gehindert durch 
die zunächst herrschengebliebene ständische Zusam- 
mensetzung und die in der Wiener Schlußakte von 
1820 zum Ausdruck gekommene ständische Theorie 
Gentz', den Gedanken der nationalen Vertretung 
völlig zum Siege geführt. Alle deutschen konstitu- 
tionellen Verf bringen seitdem deutlich den Ge- 
danken zum Ausdruck, wie ihn nach dem Vorbild 
der Preußischen die RV im a 29 formuliert: die 
A. „sind Vertreter des gesamten Volkes und an 
Aufträge und Instruktionen nicht gebunden“. 
2. Das Wesen der Vertretung. 
Aus der geschichtlichen Entwickelung ergibt sich 
klar die Tendenz der Verf Sätze, die die natio- 
nale Vertretung begründen. Es sollte in Deutsch- 
land vor allem der Gegensatz gegen die altland- 
ständische Privilegienvertretung festgelegt werden. 
Dabei wurden, im Gegensatz zu der englischen Auf- 
fassung, die von dem Rechte des Parlaments als 
Korporation ausgeht, nach französischem Vorbild 
die einzelnen A. als Träger dieses Vertretungs- 
rechts betrachtet. Unter Berücksichtigung dieser 
Tatsachen, sowie des staatsrechtlichen Gesamtbaus 
des deutschen Staates, können wir folgende Aus- 
sagen über die rechtliche und politische Natur der 
Vertretung durch die A. machen: 
a) Jede K oder Volksvertretung ist ein Staats- 
organ, in der Form eines Kollegiums, berufen an 
der Bildung des staatlichen Gemeinwillens teil- 
zunehmen. Der einzelne A. ist also das Glied eines 
Staatsorgans. Die Bezeichnung „Volksvertreter“ 
weist juristisch nur auf die regelmäßige Berufung 
dieses Organs durch Wahl der im Wahlkörper 
organisierten Regierten hin. Irgendwelche Ver- 
tretung dieses, im juristischen Sinne, durch die 
A. findet nicht statt. 
b) Die A. sind in ihrer Betätigung als Glieder 
des Staatsorgans rechtlich keinem Willen, keiner 
Weisung oder Instr unterworfen; diese Freiheit 
besteht ebensowohl den Wählern wie, für die ersten 
K, den Präsentierenden, sowie dem ernennenden 
Monarchen gegenüber. Die Pflicht der A., in der 
Richtung des Gemeininteresses zu wirken, ist eine 
staatsrechtliche, aber sie entbehrt, wie regelmäßig 
die Pflichten der obersten Staatsorgane, der 
äußeren rechtlichen Sanktionen. 
(P) Politisch dagegen macht sich der Vertretungs- 
gedanke im Verhältnis des A. zu den ihn Berufen- 
den insoweit geltend, als die Wahl auf Grund von 
Parteiprogrammen zu erfolgen pflegt, über die 
zwischen dem Gewählten und den Wählern Ueber- 
einstimmung herrscht. Durch die Anerkennung 
eines solchen Programms übernimmt der A. die 
politisch-ethische Verpflichtung eines entsprechen- 
den Verhaltens in seiner Tätigkeit. Dadurch wird 
ein Treueverhältnis des gewählten Vertrauens- 
mannes zu seinen Wählern, bezw. der von ihnen 
vertretenen Parteirichtung, begründet, das von 
den gesellschaftlichen Sanktionen der politischen 
Ehre, aber auch durch drohende äußere Folgen des 
Treubruchs, wie z. B. die Nichtwiederwahl wirksam 
gestützt wird. Diese übernommene Pflicht der 
Partei= oder Programmtreue ist natürlich keine 
unbedingte, sondern, im Falle des Pflichtenkon- 
flikts, der höheren, gegenüber dem Staate und dem 
Gemeininteresse, untergeordnet. 
d) Die Forderung, daß ein A. als ein Vertreter 
des „ganzen Volkes“ sich fühle, ist eine ideale, nie 
  
nähere Beziehung und Fürsorge für den engeren 
Kreis, namentlich den Wahlkreis, aus dem er her- 
vorgeht, keineswegs. Eine ausdrückliche Ein- 
schränkung des Repräsentativcharakters für den 
T enthielt a 28° der RV, der durch Gv. 24. 2. 
73 aufgehoben worden ist. 
Die Quellen des Rechtes der RTA. sind nur 
solche des Reichsrechts, die der LTA. sowohl des 
Reichs= wie des Landesrechts. Sie werden bei der 
Darstellung der Rechtsverhältnisse der A. im ein- 
zelnen herangezogen werden. 
#3. Erwerb und Verlust der eordneten- 
stellung. Der Erwerb der Stellung eines A. setzt 
n [IlLandtag, Reichstag, Wahl- 
rechtj: 
1. Die Berufung. Sie findet in Deutsch- 
land für die zweite K ausnahmslos, und da, wo 
der LT nur aus einer K besteht, ganz vorwiegend 
durch Wahl statt. (Ausnahmen s. Meyer- 
Anschütz 319.) Die Berufung in die erste K ist 
entweder eine erbliche, an den Besitz bestimmter 
Güter, oder an Präsentation bestimmter Kreise 
geknüpfte, oder mit gewissen Aemtern verbun- 
dene, oder dem freien Ermessen des Monarchen 
anheimgestellt. Seltener erfolgt sie auf Grund 
von Wahl. Die Wirksamkeit der Berufung ist meist 
an besondere Voraussetzungen in der Person des 
zu Berufenden geknüpft. 
2. Die Annahme steht dem Berufenen frei 
(über seltene Ausnahmen in Sachsen-Altenburg, 
Renuß ä. L. vgl. Meyer-Anschütz 323), wenn 
nicht ipso iure durch die Verbindung mit bestimm- 
ten Stellungen die Mitgliedschaft in den ersten K 
gegeben ist. Sie kann stillschweigend durch konklu- 
dente Handlungen erfolgen, oder auch ausdrücklich 
zu erklären sein. Regelmäßig ist für die gewählten 
A. eine solche Erklärung binnen bestimmter Frist 
gefordert. (Vgl. RTW Regl v. 28. 5. 70 3 33. 
Preußen Regl in d. Fassung v. 14. 3. 03 — 20. 10. 
06 7K 30.) Unter mehreren auf dieselbe Person 
gefallenen Wahlen steht dem Berufenen die Aus- 
wahl binnen dieser Frist zu. 
3. Die Voraussetzungen der Ausübung 
der so gewonnenen rechtlichen Zuständigkeit eines 
A. ist regelmäßig an den vorher zu leistenden 
Treueid und VerfEid geknüpft. Für den RI ist 
er nicht vorgesehen, dagegen in den Einzelstaaten 
durch die Verf (a 108 Pr V) oder durch die W 
und Gesch O (Bayr. G 19. 1. 72 a 4) vorgeschrieben 
(vgl. Bruder, Art. „Eid“ im Staatslexikon der 
Görresgesellschaft). Die Ausübung ist ferner ab- 
hängig von der den K obliegenden Prüfung der 
Legitimation der Mitglieder (a 27 RV, a 78 
Preuß. Verf.) Vereinzelt findet sich für gewisse 
Mitglieder der ersten K das Recht durch Stellver- 
treter ihr Stimmrecht auszuüben. (Württemberg 
VerfG v. 16. 7. 06 3 156, Baden Novelle z. 
Verf 24. 8. 04 5N 28.) 
Der Verlust der A. Stellung wird natürlich 
durch den Tod bedingt. Außerdem erfolgt er unter 
folgenden Voraussetzungen: 
1. Bei den Gewählten durch den Ablauf der 
Legislatur= oder Wahlperiode, die auch durch die 
vorzeitige Auflösung ihr Ende finden kann. Das 
gilt auch von den für die Dauer der W Periode 
ernannten Mitgliedern der ersten K (z. B. Baden 
Verf Nov 24. 8. 04 F.32). 
2. Durch den Verlust der persönlichen Eigen-
	        
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