Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

Autonomie (Allgemeines) 
  
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ist, so ist damit doch nicht gesagt, daß hier der Staat 
seine eigene Gesetzgebungsgewalt delegiere (die 
Vertreter dieser Lehre bei Gierke und Oertmann 
17 ff), wie es etwa das Reich tut, wenn es dem 
Kaiser oder BR eine bestimmte Verordnungs- 
gewalt überträgt, es handelt sich vielmehr um 
die staatsrechtlich außergewöhnliche Zulassung 
eines Prozesses eigener Ausbildung anerkennbar 
Rechtsnormen, der sonst grundsätzlich allen dem 
Staate untergeordneten Verbänden und Perso- 
nen versagt ist. Es hat sich nämlich geschichtlich 
der interessante Prozeß vollzogen, daß die Rechts- 
bildung, die ursprünglich keineswegs auch nur 
überwiegend eine Funktion des Staates war, doch 
allmählich vom Staate immer mehr aufgesogen ist. 
Nach altdeutscher Rechtsauffassung hatte jeder 
Rechtskreis auch die rechtliche Möglichkeit, sich für 
seine Sphäre selbst Recht zu setzen, ohne besondere 
Verleihung dieser Kompetenz. Die einzige 
Schranke bestand darin, daß in das Recht des 
höheren Verbandes nicht übergegriffen werden 
durfte. Bei der Blüte des mittelalterlichen Ge- 
nossenschaftswesens wurden so eine Fülle von 
Satzungen erzeugt, die man als „Willkür, Einung, 
Beliebung, Ordnung, Statutum“ zu bezeichnen 
pflegte. Solange die scholastische Doktrin an dem 
Gedanken des Weltstaats festhielt, in dem Kaiser 
und Papst als Träger der sogen. potestas leges 
ferendi die alleinigen wahren Gesetzgeber sein 
sollten, nannte man die A. aller übrigen Ver- 
bände die potestas statuendi. Es fiel also auch die 
Gesetzgebung der Territorien unter den Begriff 
der A. und der Statuten. Indem sich dann aber 
allmählich in den Territorien der Staatsgedanke 
durchsetzte, wurden von der Doktrin des 17. Jahr- 
hunderts die Rechtsnormen der Landesherrn und 
Reichsstädte als eigentliche Gesetze anerkannt. Um 
diese Zeit wurde also der Begriff der A. ein etwas 
engerer, der sich beschränkte auf das Satzungsrecht 
der nicht staatlichen Verbände. Gleichzeitig trat 
eine starke Zurückdrängung dieser Rechtsquelle 
ein. Die Möglichkeit aller dem Staate unterge- 
ordneten Verbände zu beliebiger Satzung auf dem 
Gebiete des öffentlichen und privaten Rechts er- 
schien mit den organisatorischen Bedürfnissen 
des modernen Staats und dem, schon durch die 
Verstaatlichung des Rechtsschutzes bedingten, 
Streben nach einer gewissen Gleichförmigkeit des 
Rechts innerhalb der Staatsgrenzen nicht mehr 
vereinbar. Der Staat suchte also die Rechtsbil- 
dung zu monopolisieren. Nur zeitweise von der 
juristischen Theorie gehemmt, siegte schließlich der 
Gedanke der Staatsgewalt, daß alles Recht ent- 
weder vom Staate selbst geschaffen oder doch von 
ihm zugelassen werden müsse, sei es nun durch eine 
vorgängige Verleihung oder durch eine nachträg- 
liche Bestätigung. Wo diese Lehre den Bedürf- 
nissen der Praxis für die Fortwirksamkeit der A. 
nicht genügte, half man sich durch die Fiktion einer 
stillschweigenden Genehmigung“" oder bediente 
sich des in dieser Notlage entwickelten Begriffs 
der „Vertragsstatuten“" (statuta Conventionalia), 
indem man die rechtsgeschäftliche Form der Ent- 
stehung solcher Statuten zum Vorwand nahm, um 
das für die „Sstatuta legalia“ bestehende Erfor- 
dernis staatlicher Genehmigung fallen zu lassen, 
und doch in der Wirkung die Vertragsstatuten den 
Gesetzesstatuten möglichst zu nähern suchte. Mit 
  
  
der Neubelebung des Körperschaftswesens im 
  
19. Jahrhundert hat die A. der Praxis wieder eine 
erhöhte Bedeutung gewonnen. Seine grundsätz- 
liche Stellung zur Rechtsbildung hat der Staat 
aber nicht geändert. Auch heute schafft der Staat 
das Recht entweder selbst oder bestimmt doch, wie 
weit er es anerkennen will (vgl. AL R Einleitung 
&+#2) und für die auf Grund des Privatrechts ge- 
schaffenen Statuten privatrechtlicher Körper- 
schaften wird zwar heute regelmäßig keine staat- 
liche Bestätigung mehr verlangt, aber der Staat 
erblickt in ihnen, nach dem früher Gesagten, auch 
keine eigentlichen Rechtsnormen. 
§+ 2. Die Antonomie des Staatsrechts im all- 
tgemeinen. Wie oben gesagt begegnet uns diese 
zunächst bei nicht staatlichen Verbänden des 
öffentlichen Rechts. Auch wenn man den Bundes- 
staaten die Souveränetät abspricht, ist es irrtüm- 
lich, deshalb mit Laband ihre Gesetzgebung A. zu 
nennen. Denn an dem Staatscharakter der 
Bundesstaaten ist unbedingt festzuhalten, eine 
unmittelbare Staatsgesetzgebung ist bisher aber 
niemals als A. bezeichnet worden. Ebenso schei- 
det nach der historisch überkommenen Termino- 
logie auch die Rechtserzeugung der Kirche hier 
aus. Richtiger Meinung nach gehören weiter auch 
die Geschäftsordnungen der Parlamente nicht hier- 
her, da den Parlamenten kein Verbandscharakter 
zuzusprechen ist. Die wichtigsten öffentlichrecht- 
lichen Verbände, die sich heute noch staatsrecht- 
licher A. erfreuen, sind die Gemeinden. Aller- 
dings besitzen sie für das Privatrecht die Satzungs- 
gewalt des Mittelalters, die Rostock Iund Wismar 
bis zum Jahre 1900 bewahrt hatten, heute nicht 
mehr, auch öffentliches Recht können sie nicht mehr 
wie früher beliebig erzeugen, namentlich ist ihnen 
heute ihre innere Organisation staatlicherseits 
vorgeschrieben, ebenso wie den Kommunalver-= 
bänden höherer Ordnung. Immerhin können 
in gewissem Umfange die Kommunalverbände 
auf Grund staatlichen Rechtes sowohl zur Ergän- 
zung der staatlichen Organisationsbestimmungen 
(z. B. Zahl der Stadtverordneten) wie zu beson- 
deren Zwecken (z. B. Regelung der Bauten) 
Ortsstatuten erlassen und besitzen insofern noch ein 
Recht der A. [UOrtsstatutj. Insbesondere 
kommen hier auch die zahlreichen reichsgesetzlichen 
Ermächtigungen zu statutarischen Festsetzungen 
gewerberechtlicher Natur in Betracht. Dagegen 
wird man die zahlreichen Polizeiverordnungen 
im Gegensatz zu Gierke nur da als einen Ausfluß 
kommunaler A. ansehen können, wo die Polizei 
von der staatlichen Gesetzgebung als Gemeinde- 
angelegenheit anerkannt ist, was in Preußen be- 
kanntlich grundsätzlich nicht der Fall ist. Das Er- 
fordernis der Zustimmung von Organen der 
Selbstverwaltung zu den Polizeiverordnungen 
macht in Preußen aus letzteren noch nicht auto- 
nome Satzungen. Daß die Ortsstatute, wenn auch 
durchweg öffentlichrechtlichen Inhalts, doch auch 
vielfach das Privatrecht berühren, ist schon gesagt. 
Die Statuten der Kommunalverbände nie- 
derer und höherer Ordnung sind nun aber keines- 
wegs die einzigen Fälle, vielmehr haben alle öffent- 
lichrechtlichen Verbände nach dieser oder jener Rich- 
tung hin Befugnisse zu autonomen Satzungen. Ja, 
während für die Kommunalverbände meistens das 
Verfassungsrecht durch das Staatsgesetz so ein- 
gehend geregelt ist, daß für die Organisation ein 
Statut überhaupt nicht erforderlich erscheint, gibt 
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