Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
stellt, kommt die wichtigste Veränderung des Ver- 
fassungszustandes des Großherzogtums zum Aus- 
druck: der Eintritt in das Deutsche Reich. Die 
unverändert gebliebenen &# 1, 2, 83 der Verfassung 
lassen Baden noch heut als „Bestandteil des deut- 
schen Bundes“ erscheinen. 
+5. Die heutige Berfassung. In ihrem gegen- 
wärtig geltenden Texte beginnt die „Verfassungs- 
Urkunde für das Großherzogtum B.“ mit einer 
Einleitung, in welcher der Großherzog unter 
Bezugnahme darauf, daß eine Einigung der 
Bundesglieder über die Ausführung von a 13 der 
Bundesakte nicht zu stande gekommen sei (vgl. 
oben §# 3), nunmehr für sich erklärt, „nachstehende 
Verfassungsurkunde gegeben zu haben“. Die 
badische Verfassung gehört also zur Klasse der 
einseitig verliehenen, nicht aber zu den mit einer 
Volksvertretung vereinbarten, was unter Um- 
ständen auch rechtlich z. B. für die Bedeutung des 
die Domänen zum Familieneigentum der Dynastie 
erklärenden § 59 von Wichtigkeit werden könnte 
(vgl. Schenkel im HB des öffentl. Rechts: „Das 
Großherzogtum B.“ 8, Anm. 1). 
Der Text der Verfassung selbst zerfällt dann in 
sechs Abschnitte, die mit den Ziffern I, II, III, 
IV, 1Va und V bezeichnet sind. Zitiert wird nach 
Paragraphen, von denen nominell 83 vorhanden 
sind. Aufgehoben sind jedoch die 88 24 und 25 
durch die 11. Verfassungsänderung v. 24. 7. 88 
(Beamtengesetz); eingeschoben die § 32 a, 32b, 
40 a, 48 a, 65 a, 67 a bis 67 F. 
Der I. Abschnitt handelt „Von dem Großherzog- 
tum und der Regierung im allgemeinen" in § 1—6. 
Er bringt die Unteilbarkeit und Unveräußerlich- 
keit des Großherzogtums (5 3) und das sog. 
monarchische Prinzip zum Ausdruck (5 5), wonach 
„der Großherzog in Sich alle Rechte der Staats- 
gewalt vereinigt und sie unter den in dieser Ver- 
fassungs-Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus- 
übt“. In bezug auf die Thronfolge verweist die 
Verfassung lediglich auf die Deklaration v. 4. 10. 
1817, welche als wörtlich in ihren Text aufge- 
nommen gelten soll. Hiernach ist die Thronfolge 
eine prinzipiell agnatische, eventuell aber auch 
eine kognatische in gewissen, nach dem Prinzip der 
Regredienterbschaft bezeichneten Linien unter 
Ausschluß der Frauen selbst. 
WAbschnitt II behandelt „Staatsbürgerliche und 
volitische Rechte der Badener, und besondere Zu- 
sicherungen“. Der Inhalt desselben, insbesondere 
soweit er sich auf die sogen. Grundrechte bezieht 
(Gleichheit vor dem Gesetze. Freiheit des Aufent- 
halts und der örtlichen Bewegung, persönliche 
Freiheit gegenüber Verhaftungen, Freiheit des 
Eigentums, Preßfreiheit, Gewissensfreiheit) ist 
durch die spätere Gesetzgebung, namentlich auch 
die des Reiches, ausgestaltet und stark beeinflußt 
worden. 
Der III. Abschnitt ist „Ständeversammlung. 
Rechte und Pflichten der Stände-Glieder“ über- 
schrieben. Er statuiertdas Zweikammersystem, regelt 
die Zusammensetzung der 1. und der 2. Kammer, 
die Landtagsperiode, die Form der Mandats- 
niederlegung (§ 39), die Rechte des Großherzogs 
in bezug auf Zusammenberufung, Vertagung und 
Auflösung der Kammern, die Immunität der 
Kammermitglieder, den ständischen Ausschuß usw. 
In Abschnitt 1V ist die „Wirksamkeit der Stände 
behandelt“. Hier kommen zunächst das Recht des 
  
Baden (Verfassungsentwicklung) 
  
  
Landtags in bezug auf das Auflagen-Gesetz und 
das Staatsbudget, sowie die sonstigen finanziellen 
Rechte desselben in Betracht. Ergänzend wirkt das 
sogen. Etatgesetz, d. h. das Gesetz über den Staats- 
voranschlag und die Verwaltung der Staats- 
Einnahmen und -Ausgaben v. 22. 5. 82, dessen 
Charakter als „Verfassungsgesetz“ allerdings durch 
das Abänderungsgesetz v. 24. 7. 88 beseitigt wurde, 
und das noch als solches geltende (a 21) Gesetz, 
die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungs- 
kammer betreffend, v. 25. 8. 76. Es folgen die 
Vorschriften über das Mitwirkungsrecht bei der 
Gesetzgebung und in Verbindung damit die über 
das Verordnungsrecht des Großherzogs. Der § 67 
behandelt das Recht der Vorstellung, Beschwerde, 
Verwaltungskontrolle und leitet über zu 
Abschnitt IVa „Von den Anklagen gegen die 
Minister“ mit Ergänzungsgesetz von 1869 (ogl. 
oben). 
Der Abschnitt V lautet: „Eröffnung der Stän- 
dischen Sitzungen. Formen der Beratung". Er 
regelt Beschlußfähigkeit und Abstimmung, Oeffent- 
lichkeit der Sitzungen, Geschäftsverkehr der beiden. 
Kammern mit einander usw. 
8 6. Der konstitutionelle Gedanke auf dem 
Gebiete der Berwaltung: Selbstverwaltung und 
Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Grundidee der 
konstitutionellen Staatsverfassung, die Anerken- 
nung der freien und politisch selbständigen Persön- 
lichkeit auch gegenüber dem Staate, mußte auch 
auf dem Gebiete der Verwaltung seine Wurzeln 
schlagen. 
1. Am frühesten zeigte sich dieser Zusammen- 
hang zu Gunsten der Gemeindefreiheit und kom- 
munalen Selbstverwaltung in den Ortsgemeinden, 
und es ist kein Zufall, daß schon auf dem ersten 
Landtage im Jahre 1819 die Verhandlungen über 
eine neue Gemeindeverfassung begannen. Unter 
den gesectzgeberischen Erzeugnissen, welche in den 
Jahren 1807—1809 dazu bestimmt waren, die ver- 
schiedenartigen Landesteile des neuen Staates 
durch „Zentralisation und Uniformität“ zu einem 
administrativen Ganzen zusammenzufassen, war 
es das II. Konstitutionsedikt v. 14. 7. 1807, die 
Verfasiung der Gemeinheiten, Körperschaften und 
Staatsanstalten betreffend, und das Organisations- 
reskript v. 26. 11. 1809 Beilage B vornehmlich 
geweseon, welche die Stellung der Gemeinden im 
Staate betrafen und dieselbe im Sinne strenger 
Abhängiakeit und Bevormundung ordneten. Nicht 
bloß, daß der Staat ein unbedingtes Bestätigungs- 
recht hinsichtlich der Gemeindeorgane für sich in 
Anspruch nimmt: vielmehr behält er sich sogar 
unter Umständen die Ernennung des Vorgesetzten 
(Vogts, Bürgermeisters) nach seinem Ermessen 
vor. Einem regelmäßigen Selbstergänzungsrecht 
der Gerichte und Räte, verbunden mit Lebens- 
länglichkeit der Aemter, steht nur die „Miderruf- 
lichkeit“" seitens der vorgesetzten Behörde als 
Gegengewicht gegenüber. Die Gemeinden sind 
„Staatspersonen“, „als Minderjährige anzusehen“, 
„haben aller diesen zukommenden besonderen 
Staatsvorsorge zu genießen, aber auch alle die 
besonderen Pflichten der Minderjährigen zu er- 
füllen". Daher können sie zwar Beschlüsse fassen; 
es kann jedoch von der Zentralbehörde „aus ober- 
vormundschaftlicher Gewalt“ auch gegen den 
Willen der Gemeinde entschieden werden, wie 
denn überhaupt „alle solche Schlüsse stets dem
	        
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