Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

unter „verschlossener Urkunde“ jedes ver- 
schlossene Schriftstück, gleichviel welchen Inhalts, 
zu verstehen ist (so die herrschende Meinung). 
Da, „Brief“ hier als Unterart der Urkunde gemeint 
ist, so kann „verschlossener“ Brief hier auch nicht 
im formellen, postalischen Sinne aufzufassen sein 
(= jede verschlossene Sendung, die den Vorschrif- 
ten über den BVerkehr entspricht, also auch der 
verschlossene Bumschlag ohne schriftliche Mittei- 
lung, auch ohne Inhalt). # 299 hat mit der P 
überhaupt nichts zu tun. Ueber seinen Bhegriff 
entscheidet die Auffassung des Lebens. B ist hier- 
nach jede schriftliche Mitteilung an eine bestimmte 
Person oder einen bestimmten Personenkreis. 
Gleichgültig ist, ob die Mitteilung geschrieben, 
lithographiert, gedruckt ist, oder ob die Worte 
(nicht die Mitteilung als solche!) durch verab- 
redete Zeichen ausgedrückt sind (Ret 31, 153; 
22, 26; 37, 282; 36, 268. An Rüdorff- 
Stenglein und Frank, die, anscheinend 
den postalischen Begriff des verschlossenen B 
anwendend, auch Zeichnungen, ersterer auch 
Warenmuster, als geschützt ansehen). Der „Brief“ 
im Sinne des § 299 setzt hiernach begrifflich einen 
Absender und (einen) Adressaten voraus, mag er 
auch nicht „befördert“, sondern vom BSchreiber 
für den Adressaten an Ort und Stelle zurück- 
gelassen werden. 
„Verschlossen“ müssen B oder Urkunde 
sein. Hierzu genügt nicht, daß das Schriftstück sich 
in verschlossener Kassette befindet. Schriftstück 
und Verschluß müssen vielmehr nach der Lebens- 
auffassung eine Einheit bilden. Daß in der Bülle 
außer dem B noch andere Gegenstände einge- 
schlossen sind, steht an sich nicht entgegen. Doch 
muß der Verschluß dem Schriftstück angepaßt sein 
und nach ihm seine Form haben; die postrechtliche 
Bestimmung, wonach unverschlossene B in ver- 
schlossenen Paketen als verschlossene B anzusehen 
sind (5+ 1 Abs 3 des Reichspost G v. 28. 10. 71), 
kommt für §+ 299 StGB nicht in Betracht. Die 
Abgrenzung kann jedoch im Einzelfalle schwierig 
sein. Verschluß setzt einen Verschlußwillen und 
Umsetzung des Willens in die Tat voraus. Hier- 
nach ist Siegelung, Zukleben, Zunähen, Plombie-- 
ren als Verschluß anzusehen. Auch ein mangel- 
haft zugeklebter B ist verschlossen, wenn die Her- 
ausnahme des B aus der Hülle zwar ohne Sub- 
stanzbeschädigung möglich, aber nicht ohne Spuren 
— — — — — —— — — —— — — — 
des Eingriffs zurückzulassen (durch Zerknittern) 
erfolgen kann (Ret 20, 375). Eine Kreuz= oder 
Streifbandsendung ist hiernach, und da auch ein 
Verschlußwille nicht anzunehmen, nicht als ver- 
schlossen anzusehen. Zweifelhaft ist, ob ein Bind- 
fadenverschluß genügt. Die ordnungsmäßige 
Lösbarkeit des Verschlusses, d. h. Lösbarkeit ohne 
Substanzverletzung, schließt das Bestehen eines 
solchen nicht aus. Die Frage ist daher nur dann zu 
bejahen, wenn erkennbar ist, daß die Umschnürung 
nicht nur gegen Herausfallen der Papiere (z. B. 
bei einer umschnürten Drucksachensendung, §& 8 V. 
der Post O v. 20. 3. 00), sondern auch gegen un- 
befugtes Lesen (feste Verknotung) schützen soll 
(io RGSt 16, 289). Nach schweizer. PRecht gilt 
eine Verknotung nicht als Verschluß, anders nach 
deutschem PRecht (PostO v. 20. 3. 00, 5+ 16, I: 
„gut geknotete Verschnürung"). 
Die richtige Bestimmung des Verschlußbegriffs 
ergibt den Begriff des Eröffnens. Letzteres 
weites Gebiet zivilrechtlicher Zweifel. 
Briefgeheimnis 
  
  
ist daher nicht immer Substanzverletzung. Doch 
ist eine auf Lösung des Verschlusses abzielende 
Tätigkeit erforderlich. Durchleuchten oder Durch- 
lesen ist nicht strafbar (RGSt 20, 375). An- 
dererseits gehört auch Zerreißung des Briefes, 
ohne vorangegangene Eröffnung, nicht hierher, 
sondern ist als Sachbeschädigung (5 303 St GB), 
u. U. als Urkundenvernichtung (I 133, 274 
Ziff. 1 StGB)h strafbar. Die Tat ist vollendet mit 
der Eröffnung des Verschlusses. Daß der B auch 
aus der Hülle genommen, oder daß er überhaupt 
gelesen worden, ist nicht erforderlich. U. U. er- 
folgt jedoch (Beispiel des mangelhaft zugeklebten 
B) die Eröffnung gerade durch Herausziehen des 
Baus der Hülle. 
8 4. Die subjektiven Voraussetzungen des 
# 299. Subjekt des Vergehens kann jeder- 
mann sein, auch ein Beamter, z. B. der Richter, 
der das BEröffnungsrecht aus 100, 110, 
116 St P überschreitet. Im Anwendungsgebiet 
der §§5 354, 355 Sth ist § 299 jedoch ausgeschlos- 
sen. 
Die Eröffnung muß vorsätzlich und unbe- 
fugterweise erfolgt sein. Jedenfalls ist hiernach 
das Bewußtsein der Rechtswidrig- 
keit Voraussetzung der Strafbarkeit. 
Der B darf nicht zur Kenntnisnahme 
des Eröffnenden bestimmt sein. Hierüber 
entscheidet in der Regel die Aufschrift (Adresse), 
doch nicht ausschließlich. Aus dem Inhalt, der 
nötigenfalls mit Hilfe anderer Beweismittel zu 
interpretieren ist, kann sich (auch) ein anderer 
als berechtigt ergeben. Es muß jedoch ermittelt 
werden können, daß der Eröffnende von dem 
Schriftstück Kenntnis nehmen sollte (zu seiner 
Kenntnisnahme „bestimmt"“); es genügt nicht, 
daß etwa später im Strafverfahren der BöSchreiber 
bezeugt, er hätte nichts dagegen einzuwenden 
gehabt, daß der Täter den B liest. Darüber, ob 
der B zur Kenntnis des Eröffnenden bestimmt ist, 
entscheidet zwar der Zeitpunkt der Tat, 
doch genügt es, wenn nur ein betagtes Recht 
bestand, wenn z. B. der B ein Rundschreiben ist, 
das zunächst an einen anderen Adressaten gerichtet 
ist. Wenn also in solchem Falle zwar zur Zeit der 
Tat eine Befugnis zum Eröffnen nicht ge- 
geben ist, so liegt dennoch Straflosigkeit vor, 
weil der B.,zur Kenntnis“ des Täters „bestimmt"“ 
ist (landers Olshausen). 
Die Frage, wann die Eröffnung eines B, der 
nicht zur Kenntnisnahme des Eröffnenden be- 
stimmt ist, dennoch befugt ist, eröfftnet. ein 
eber 
öffentlichrechtliche Befugnisse, die zugleich Aus- 
nahmen vom postalischen B darstellen, #Post- 
wesen: Brief-, Telegraphen= und Fernsprech- 
geheimnis. Hierzu kommt, das Postrecht nicht 
berührend, ## 110, 116 St PO. Im übrigen 
gilt folgendes. Befugt ist der Eigentümer 
des B, also — regelmäßig — der Absender 
bis zur Uebergabe des B an den Adressaten oder 
dessen Empfangsvertreter, wozu auch der vom 
Adressaten bestellte Bote gehört; mit dieser Ueber- 
gabe erlischt die Be fugnis des Absenders und be- 
ginnt das Recht des Adressaten. Letzterer 
ist zur Eröfsfnung also erst dann befugt, wenn der 
Bmit dem Willen des Absenders ihm zugegangen 
ist. Solange der B, wenn auch schon verschlossen, 
noch beim Absender ruht, ist der Adressat nicht be-
	        
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