Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

oberste Verwaltungsgericht, wobei mindestens 4 
richterliche B mitwirlen müssen. In betreff der 
Disziplinarbehörde für die behördlich an- 
gestellten B in Baden (. oben # 19 a. 
Bezüglich der Richter vgl. den besonderen 
Artikel. 
z 21. Anwendbarkeit der Strafprozeßordunug 
auf das Tisziplinarverfahren. Die Beamten- 
und Disziplinargesetze des Reichs und der Bundes- 
staaten haben das förmliche Disziplinarverfahren 
nicht erschöpfend, sondern nur in großen Zügen 
geregelt. Als Ergänzung der von den Gesetzge- 
bern bewußt gelassenen Lücken kommen die je- 
weiligen Strafprozeßgesetze, gegenwärtig also 
vornehmlich die Deutsche St PO v. 1. 2. 77, in 
Frage. Denn wenn auch das Disziplinarstrafrecht 
keineswegs eine bloße Unterabteilung des bürger- 
lichen Strafrechts, sondern ein Teil des Staats- 
beamtenrechts ist, so trägt doch immerhin das 
Disziplinarverfahren einen dem gewöhnli- 
chen Strafverfahren nahe ver- 
wandten Charakter. Ja, die Disziplinar- 
gesetze können sogar ohne ein Zurückgreifen auf 
die allgemeinen strafprozessualischen Vorschriften- 
überhaupt nicht gehandhabt werden, denn sie 
setzen eine Reihe von Begriffen, wie „Vorunter- 
suchung“", „Einleitung des gerichtlichen Strafver- 
fahrens“, „eidliche Zeugenvernehmung", „Ver- 
richtungen der Staatsanwaltschaft“, „Berufung“, 
als gegeben voraus, die sich nur durch die bürger- 
lichen Strafprozeßgesetze bestimmen lassen. Zwei- 
felhaft ist iedoch, inwwieweit die das allge- 
meine Strafverfahren betreffenden gesetzlichen 
Vorschriften, sofern nicht in den Disziplinargesetzen 
ausdrücklich auf sie verwiesen ist, auf das Diszipli- 
narverfahren zu übertragen sind. Als Regel wird 
"estzuhalten sein, daß überall da, wo die Diszipli- 
nargesetze ein bestimmtes formelles Verfahren 
voraussetzen, ohne selbst die Regeln dafür zu geben, 
also z. B. in betreff der Beweisaufnahme, nament- 
lich der Vernehmung von Zeugen und Sach- 
verständigen, deren Vorladung, Zwang zum Er- 
scheinen und Beeidigung, die besonderen Vor- 
schriften der Strafprozeßordnung gelten müssen. 
Dagegen werden die sonstigen Vorschriften der 
Strafprozeßordnung nur insoweit Anwendung zu 
finden haben, als sie weder mit einer aus dem 
Sinn oder Zusammenhange der Disziplinargesetze 
selbst sich ergebenden Bestimmung in Widerspruch 
stehen noch der eigentümlichen Natur und dem 
besonderen Zwecke des Disziplinarver fahrens 
widerstreiten. 
##22. Gang des Verfahrens. a) Vorunter- 
suchun g. Nach Einleitung des förmlichen Dis- 
ziplinarverfahrens hat eine Voruntersuchung statt- 
zufinden. Gegenstand der Voruntersuchung sind 
die im Einleitungsbeschlusse bezeichneten An- 
schuldigungspunkte. Der Angeschuldigte wird un- 
ter Mitteilung dieser Anschuldigungspunkte vor- 
geladen und, wenn er erscheint, gehört; erscheint 
er nicht, so nimmt das Gesetz an, daß er seine 
Schuld bestreitet; die Voruntersuchung ist daher 
alsdann, soweit möglich, ohne seine Zuziehung 
zum Abschlusse zu bringen. Die Zeugen werden in 
der Voruntersuchung eidlich vernommen; es sollen 
  
Disziplin (Verfahren) 
  
  
  
nicht nur die Belastungs-, sondern auch die Ent- 
lastungsmomente erörtert und aufgeklärt werden; 
jenige vor der Disziplinarkammer. 
deshalb sind, selbst ohne Antrag des Angeschuldig- 
ten, auch alle entlastenden Beweise von Amts 
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wegen zu erheben. Der Inhalt der erhobenen 
Beweise ist dem Angeschuldigten mitzuteilen. Da 
die Beweisaufnahme i in der mündlichen Verhand- 
lung der Regel nach nicht wiederholt wird, so liegt 
in der Voru ntersuchung, abweichend 
vom ordentlichen Strafprozeise, der Schwerpunkt 
des Disziplinarverfahrens. Dies gilt jedoch nicht 
von dem Disziplinarverfahren gegen Richter; 
hier ist wesentlich nur die mündliche Verhandlung 
vor Erlaß des Urteils (s. unter p), da die Vorunter- 
suchung nicht obligatorisch ist, vielmehr in einfache- 
ren Fällen die mündliche Verhandlung auch auf 
andere Weise vorbereitet werden kann. 
b) Mündliche Verhandlung. Wenn 
nach Abschluß der Voruntersuchung diec leitende 
Disziplinarbehörde die Sache vor die entschei- 
dende Disziplinarbehörde verweist, so wird nach 
Eingang einer von dem B der Staatsanwaltschaft 
anzufertigenden Anschuldigungsschrift der Ange- 
schuldigte unter Mitteilung dieser Anschuldigungs- 
schrift (in Bayern, wo die Anschuldigungeschrift 
fortfällt: „unter Mitteilung des Verweisungs- 
beschlusses“) zur mündlichen Verhandlung mit der 
Warnung vorgeladen, daß die Verhandlung im 
Falle scines Ausbleibens gleichwohl stattfinden 
werde. Die mündliche Verhandlung ist im Rei- 
che, in Württemberg und Sachsen 
öffentlich, in Preußen, Bayern, Baden 
und Hessen nicht öffentlich. Ein vom Vor- 
sitzenden aus der Zahl der Mitglieder des Dis- 
ziplinargerichts ernannter Berichterstatter gibt 
eine Darstellung des Ergebnisses der Beweis- 
aufnahme (in Bayern müssen Urkunden und 
andere als Beweismittel dienende Schriftstücke 
sowie die Protokolle über die Aussagen der Zeu- 
gen und Sachverständigen verlesen werden). Der 
Angeschuldigte wird vernommen, darauf der B 
der Staatsanwaltschaft und der Angeschuldigte 
mit seiner Verteidigung gehört. 
c) Entschridung. Die Disziplinarbehör- 
den entscheiden nach ihrer freien, aus dem ganzen 
Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise ge- 
schöpften Ueberzeugung. Die Entscheidung kann 
auch auf eine bloße Ordnungsstrafe lauten. In 
Bayern ist zu jeder dem Beschuldigten nachteili- 
gen Entscheidung, welche die Schuldfrage oder 
die Verurteilung zur Strafe der Dienstentlassung 
betrifft, eine Mehrheit von zwei Dritteln der 
Stimmen erforderlich. 
4) Berufung. Im Reiche und in El- 
saß= Lothringen, ferner in Preußen, 
Bayern und Sachsen steht sowohl dem An- 
geschuldigten wie dem B der Staatsanwaltschaft 
gegen die Entscheidung erster Instanz das Rechts- 
mittel der Berufung zu. Jede von dem Staats- 
anwalt eingelegte Berufung hat die Wirkung, 
daß das angefochtene Urteil auch zugunsten des 
Beschuldigten abgcändert oder ausgehoben wer- 
den kann. Auch kann der Staatsanwalt zugunsten 
des Beschuldigten Berufung einlegen. Die Frist 
zur Anmeldung des Rechtsmittels beträgt im 
Reiche und in Preußen 4 Wochen, in 
Bayern 2 Wochen, in Sachsen 10 Tage. 
Abgesehen von Preußen, ist das Verfahren vor 
der Disziplinarbehörde zweiter Instanz (Dis- 
ziplinarhof) im wesentlichen dasselbe wie das- 
In Preu- 
ßen dagegen beschließt in zweiter Instanz das 
Staatsministerium ohne mündliche Ver-
	        
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