Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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beimessen, wenn wir nicht überhaupt die E. des 
niederen Adels gegenüber dem gesamten hohen 
Adel aus ihnen ableiten wollen, so können wir 
uns auch in Bezug auf die E. des niederen Adels 
gegenüber den reichsgräflichen und neufürstlichen 
Häusern nicht allzu fest auf sie stützen. Wir müssen 
es deshalb für zweifelhaft halten, welche 
Ebenburtsgrundsätze am Ausgange 
des alten Reichs für die neufürstli- 
chen und reichsgräflichen Familien 
galten. 
#§# 2. Die heutigen Erfordernisse der Eben- 
bürtigkeit. Das alte E.Recht des hohen Adels 
ist, wiewohl es seine Grundlagen allein in dem 
Institut der Reichsstandschaft hatte, mit Auflösung 
des Reichs nicht untergegangen. Für die regie- 
renden, ehemals reichsständischen Familien ist es 
ipso iure in Kraft geblieben als Bestandteil des 
gemeinen deutschen Privatfürstenrechts. Später 
ist es allerdings vielfach aus diesem in das Ver- 
fassungsrecht übergegangen. Für die 1806 media- 
tisierten Familien konnte wegen der in der Me- 
diatisierung enthaltenen Aenderung ihres Status 
das Privatfürstenrecht ipso iure nicht mehr gelten, 
eine ausdrückliche Bestimmung der Bundesakte 
gab ihnen jedoch den Weiterbestand ihrer früheren 
Sonderrechte. B.-A. a 14 àa sicherte den mediati- 
sierten ehemals reichsständischen Häusern das 
subjektive E. Recht gegenüber den regierenden 
Häusern, a 14c 2 gab dem objektiven E.Recht 
Fortbestand durch Anerkennung des Wetiter- 
bestehens der früheren Familienverträge und der 
Befugnis der Familien, über ihre Güter und 
Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen 
zu treffen. àa 57 und 58 EG z. BGB haben 
weiterhin das Sonderrecht der hochadeligen Fami- 
lien bestehen lassen [Autonomie S292ff#h. 
Was den Inhalt des E.Rechts angeht, so ist zu 
unterscheiden zwischen den regierenden und den 
standesherrlichen Familien. Für erstere entschei- 
den vielfach die Verfassungen, für die letzteren ist 
die Hausgesetzgebung nach Maßgabe der Landes- 
gesetze bestimmend [I Antonomie S 294 ffl. Sub- 
sidiär gilt für beide Kreise das gemeine Privat- 
fürstenrecht. 
Nach gemeinem Privatfürstenrecht waren zu 
Ausgang des alten Reichs, wie (S. 625) dargelegt, 
für die altfürstlichen Geschlechter nur reichs- 
ständische Familien ebenbürtig. Das ist, wie 
* noch bestritten wird, noch heute geltendes 
echt. 
Für die neufürstlichen und reichsgräf- 
lichen Familien war es, wie schon zu Ausgang 
des alten Reiches, zweifelhaft, ob für sie nicht schon 
der alte niedere Adel ebenbürtig war. Im Jahre 
1773 hat das Reichskammergericht diese Frage 
bejaht. Wir haben diese Entscheidung als einen 
zwingenden Beweis für das damals geltende Recht 
nicht anerkennen können, da sie sich auf rechtsirri- 
gen Grundlagen aufbaut. Für die Folge jedoch 
mußte diese Entscheidung von allergrößter Be- 
deutung sein. Erinnern wir uns daran, daß tat- 
sächlich im 18. Jahrhundert in den reichsgräflichen. 
Familien zahlreiche Durchbrechungen des alten 
strengen Herkommens vorgefallen sind, und daß 
es zweiselhaft war, ob der Anerkennung dieser 
Ehen die für die Bildung eines derogierenden 
Gewohnheitsrechts erforderliche opinio necessi- 
Ebenbürtigkeit (Erfordernisse) 
  
die einschneidende Bedeutung jenes Urteils in 
Sachen Friesenhausens: nachdem in rechtskräfti- 
gen Entscheidungen der obersten Reichsgerichte 
für die reichsgräflichen Familien die E. des niede- 
ren Adels festgelegt und das Ergebnis dieser Ent- 
scheidung von einem der angesehensten Rechts- 
lehrer (D. G. Struben) wissenschaftlich begründet 
und genauer ausgearbeitet war, kann einer wei- 
teren Uebung dicses „milderen“ Prinzips die 
opPinio necessitatis nicht abgesprochen werden: 
wir müssen in ihr ein Gewohnheitsrecht anneh- 
men. Nachdem nun eine solche Uebung tatsächlich 
stattgefunden hat, nachdem im 19. Jahrhundert 
stets von den höchsten Gerichten Deutschlands die 
Ehe eines Herrn aus altreichsgräflichem und neu- 
fürstlichem Hause mit einer Dame von niederem 
Adel als vollwirksam anerkannt ist (vgl. Schieds- 
spruch in dem Rechtsstreite über die Thronfolge 
im Fürstentum Lippe 1897, S 19), nachdem 
endlich die Schiedsgerichte im Lippeschen Thron- 
folgestreit diese Auffassung ebenfalls als Rechts- 
satz zur Anwendung gebracht haben, wird man 
nicht mehr daran zweifeln können, daß heute ein 
Gewohnheitsrecht vorliegt des Inhalts, daß für 
die reichsgräflichen und neufürstlichen Häuser 
schon der niedere Adel ebenbürtig ist. Doch wird 
man diese E. nicht jedem niederen Adel zuspre- 
chen dürfen, sondern — obgleich auch das nicht 
unzweifelhaft ist — wahrscheinlich nur altem 
Adel; unter altem Adel ist dabei aber nicht zu 
verstehen „Ahnenadel“, auch nicht nur Uradel, 
auch nicht Adel, der vor 1600 schon vorhanden 
gewesen ist, sondern als alten Adel wird man 
jeden seit unvordenklicher Zeit in dem Sinne exi- 
stierenden Adel anzusehen haben, daß der Ur- 
sprung als Briefadel nicht mehr in dem Gedächt- 
nis der Oeffentlichkeit fortlebt, für das vielleicht 
drei Menschenalter als Zeitgrenze anzunehmen 
wären. — 
In Hinsicht auf die Erfordernisse der Eben- 
burt ist jedoch zu bemerken, daß die Eben- 
burtsgrundsätze des gemeinen Privatfürstenrechts, 
wenn mangels oder infolge hausgesetzlicher Be- 
stimmung ihre subsidiäre Geltung eintritt, sich 
regelmäßig nur auf den Geburtsstand der 
Braut beziehen, d. h. jedes, auch den strengsten 
Grundsätzen huldigende Haus muß alle Mitglie- 
der jedes anderen standesherrlichen Hauses, die 
aus einer nach den Hausgesetzen jenes Hauses 
ebenbürtigen Ehe stammen, als ebenbürtig aner- 
kennen, auch wenn jene Ehe nicht den Ebenburts- 
grundsätzen des eigenen Hauses genügt. Doch 
kann auch dieser Satz des gemeinen Privatfürsten- 
rechts seinerscits wieder im Wege der Autonomie 
ausgeschaltet werden durch eine Bestimmung der 
Hausgesetze, daß ebenbürtig sein sollen nur die 
Mitglieder derjenigen andern standesherrlichen 
Häuser, die auch ihrerseits an dem strengen E.Recht 
  
festhalten; eine solche Bestimmung enthält z. B. 
das Oldenburgische Haus G v. 1. 9. 72. Ebenso 
kann sich das Haus (wie es Koburg-Gotha für die 
Ehen mit Angehörigen nicht reichsständischer 
fürstlicher oder gutgräflicher Häuser getan hat) 
überhaupt die Prüfung vorbehalten, ob die zu 
schließende Ehe ebenbürtig ist. — Eine selbstver- 
ständliche Folge aus der nur subsidiären Geltung 
des gemeinen Privatfürstenrechts gegenüber dem 
Hausrecht ist es endlich, daß im Wege der Haus- 
tatis innewohnte, so erkennen wir ohne weiteres gesetzgebung der E. Grundsatz ganz aufgehoben
	        
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