Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
52 Abolition 
Verfassung zustehen, so hätte es keines besonderen 
Ausspruches der Verfassung über die B bedurft. 
Wo dies dennoch geschehen ist, wird man die Ab- 
sicht unterstellen können, dem Rechte der B auch 
eine verfassungsmäßige Grundlage zu sichern. Da 
die A. aber schon zu Beginn des 19. Jahrh. von 
der „Begnadigung“ getrennt zu werden pflegte, 
und da eine Reihe von Staaten gerade in den Ver- 
fassungsurkunden zu der Frage der A. neben 
der B ausdrücklich Stellung genommen haben, so 
neige ich (bei allem Vorbehalt in Hinsicht der Ge- 
setzestechnik unfrer Verfassungsurkunden) grund- 
sätzlich dahin, den bloßen Ausspruch, daß die 
„Begnadigung“ dem Landesherrn zukomme, auf 
die B im eigentlichen Sinne zu beschränken (anders 
mit der herrschenden Meinung u. a. Binding, Heim- 
berger). So für Baden und Hamburgcl,hier 
ebenso Heimberger, auch Finger und Binding als 
„stillschweigend versagt durch ausdrückliche Gewäh- 
rung der selbstverständlichen Bi. c. S., aber Ueber- 
gebung der nicht selbstverständlichen (1) A. mit 
Stillschweigen“). Das Gegenteil müßte sich für 
den einzelnen Staat aus besondern Umständen 
ergeben. So nehme ich es für Olden burg 
an, da die A. hier trotz der Verfassung praktisch ge- 
blieben ist, was einen Schluß auf die Absicht der 
Gesetzgeber zuläßt. Für Sachsen= Alten- 
burg fällt außerdem die Bestätigung in dem 
(später als das Grundgesetz erlassenen) StGB 
von 1841 (a 73) ins Gewicht: „Wer . . . A. oder B 
erlangt hat, kann wegen desselben Verbrechens 
nicht nochmals zur U und Strafe gezogen wer- 
den.“ Absonderlich steht es mit Sachsen = Mei- 
ningen: § 106 gibt zwar die „Begnadigung“; 
5 105 bestimmt aber, daß „der Lauf der Justiz nicht 
gehemmt werden solle“. Der Widerspruch bleibt 
zu beachten. Trotzdem wird man die A. für zu- 
lässig halten müssen, da das sog. thüringische 
St G, das 1850 in Meiningen einge führt worden. 
ist, im a 69 das Erlöschen der Strafbarkeit durch 
„Niederschlagung der U oder B“ kennt; auch in 
dem A#G z. GG v. 16. 12. 78 ist u. a. von der 
Degutachtung der Straferlaß= oder A. Gesuche die 
Rede. 
b) Der A. oder auch nur der „Begnadigung“ 
wird bloß insoweit gedacht, als sie ausdrücklich 
ausgeschlossen wird bei der Ministeranklage oder 
bei U gegen Staatediener: Hessen (00), 
Sachsen-Weimar9), Schwarzburg-Son- 
dershausen 757). Ex argumento a contra- 
rio auf die Zulassung der A. in allen anderen Fällen 
zu schließen, ist bei der Lückenhaftigkeit der Nor- 
mierung in unsern Verfassungsgesetzen, die den 
Einzelfall auch bloß zur Einschärfung hervorgeho- 
ben haben können, nicht unbedenklich. Indessen 
wird das Argument für Hessen durch einzelne 
praktische Fälle (Heimberger 76), für Weimar 
und Sondershbausen besonders wieder 
durch das thüringische StGB gestützt. 
ID) Schließlich fehlt cs an jeder Andeutung in den 
beiden Mecklenburg:), Anhalt, Lippe, 
1) Der Entwurf eines Landesgrundgesetzes vom Jahre 
1908 besagte im 118: „Der Großherzog kann jede von der 
öffentlichen Gewalt im gerichtlichen oder nicht gerichtlichen 
Verfahren verhängte Strafe aus Gnaden mildern, um- 
wandeln oder ganz erlassen, auch vor der Verhängung der 
Strase das Berfahren niederschlagen“. Unverändert in den 
Entwurf von 1909 übernommen. 
  
  
  
Schwarzburg-Rudolstadt und Lü- 
beck. Hier hat sich aber überall das Recht der A. 
durch Handhabung lebendig erhalten, außer, so- 
viel ich sehe, in Lippe. Aber auch für Lippe ist 
die Fortdauer anzunehmen, da das auf Lippe 
übertragene Kriminalgesetzbuch für Braunschweig 
von 1840 im §5 68 neben der B die Niederschlagung 
der U kennt. Für Anhalt-Dessau und Cöthen 
kommt übrigens noch die Geltung des thüring. 
St GB in Betracht, das mit 1864 auch auf Anhalt- 
Bernburg ausgedehnt worden ist. 
II. Dieses Ergebnis wird für die Zeit nach Ein- 
tritt der Reichseinheit in Strafrecht und Straf- 
prozeß zu Unrecht in Frage gestellt. Die Einen 
(Bennecke-Beling) betrachten die A. als einen 
strafprozessualen Vorgang, der im Reichsprozeß= 
rechte hätte aufrecht erhalten werden müssen. Das 
trifft nicht zu, da die A. den normalen Gang des 
Verfahrens aus höheren Rücksichten durchbricht 
und eine Prozeßvoraussetzung fortzieht; aber sol- 
cher Eingriff beruht ebensowenig wie der der 
cigentlichen B auf prozeßrechtlicher Grundlage 
und bedurfte deshalb ebensowenig wie diese des 
ausdrücklichen Vorbehalts im Prozeßgesetze (arg. 
e contr. & 14 Z#,. 4 EG z. ZPO für die Morato- 
rien). Andre finden die A. unvereinbar mit #+ 1 
GV“ (John, Stenglein) oder §16 GVeG (Jastrow)h, 
was in der Literatur zur Genüge widerlegt ist. 
Wieder anders sucht v. Kries (äbulich Finger) die 
Beseitigung der A. damit zu begründen, daß die 
Erhebung der Klage in einem Gliedstaate möglich 
wäre, obgleich in einem andern der Landesherr 
aboliert hätte; dieses unbrauchbare Ergebnis 
dränge dahin, die A. auf die bloß durch Landes- 
gesetze strafbaren Handlungen zu beschränken. 
Doch das sind Unzuträglichkeiten, die auch sonst 
aus der Selbständigkeit des einzelstaatlichen Ver- 
fassungsrechts entspringen können, z. B. Ver- 
schiedenheit der prozessualen Stellung nach den 
Hausgesetzen aus §& 4 EG z. St PO oder für die 
räumliche Geltung des Landesrechts über die 
Immunität der Abgeordneten (§J6 Z. 1 EG#z. 
St PO) oder bei der Ausweisung nur aus cinzel- 
nen Gliedstaaten. All diesen Einwürfen fehlt die 
überzeugende Kraft. Es müßten durchschlagende 
Gründe beigebracht werden, um wahrscheinlich 
zu machen, daß die Landesherren implicite auf 
ihr A.Recht hätten verzichten wollen (Berner 
#*1#8, Merkel 248, Binding 871 entgegen seiner 
früheren Meinung). 
So erkennt auch die überwiegende Meinung, 
wenn auch mehr oder weniger mit dem Ausdrucke 
des Bedauerns die Fortgeltung des A. Rechtes an, 
und auch das Reichsgericht hat sich (in Strafsachen 
aus dem Gebiete von Anhalt und Koburg-Gotha) 
auf diesen Standpunkt gestellt (28, 419; 33, 204). 
##3. Preußen insonderheit verlangt für „be- 
reits eingeleitete“ U ein „besonderes Gesetz“ 
(a 49 Abs 3). Ich lege das dahin aus: Der Ab# 3 
war in dem VerfEntw noch nicht enthalten und 
ist erst durch die Kommission der Nationalver= 
sammlung einge fügt worden und so in der oktroy- 
ierten VU v. 5. 12. 48 verblieben. Die Revisions- 
kammern haben darüber im September, Oktober 
und November 1849 verhandelt. Es ist nicht er- 
sichtlich, inwieweit sich die Nationalversammlung 
an die Terminologie und an welches der verschie- 
denen Strasprozeßgesetze überhaupt sie sich ange- 
schlossen hat. Daß der Antrag von einem rheini-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.