Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Adel 
  
heutigen deutschen Hoch A. knüpft an die Geschlech- 
ter an, denen im alten deutschen Reiche zur Zeit 
seiner Auflösung erbliche Reichsstandschaft zustand. 
Zu ihm gehören deshalb zunächst die heute noch 
tatsächlich regierenden landesherrlichen Familien, 
dann die 1866 Depossedierten, weiter die zahl- 
reichen bei Auflösung des Reiches Mediatisier- 
ten, denen die Zugehörigkeit zum Hoch A. durch 
al der Bundesakte zugesichert. Während zur 
letzteren Gruppe auch die Vertreter der sogen. 
Rezeßherrschaften gezählt werden, sind die bloßen 
Personalisten, die vom Reichstage ohne reichsun- 
mittelbares Territorium mit Reichsstandschaft pro- 
visorisch zugelassen waren, grundsätzlich nicht ein- 
begriffen. Doch sind durch Erklärung des Bundes- 
tags eine Reihe Familien, die nicht im Besitz eines 
Territoriums mit Reichsstandschaft gewesen sind, 
den Mediatisierten gleichgestellt, zum größeren 
Teile ehemalige Personalisten. So sind von den 
55 heute existierenden standesherrlichen Familien 
1815 zur Zeit der Redaktion des a 14 der Bundes- 
akte nur 36 im Besitze eines ehemals reichsständi- 
schen Territoriums gewesen. Seit die Zulassungs- 
instanz der Bundesversammlung in Fortfall ge- 
kommen, ist die Gruppe der Standesherren unter 
dem Hoch A. für immer geschlossen. Abgesehen von 
dem Eintritt in den Kreis der regierenden Fami- 
lien einschließlich derienigen des Auslands kann 
also heute die Qualität des Hoch A. nicht mehr er- 
worben werden. Die Verleihung des Hoch . 
durch Landesrecht würde höchstens für das Staats- 
recht innerhalb der Landesgrenzen wirken, die 
Verleihung der bloßen Titel des Hoch A. bedeutet 
keine Aenderung in der Rechtsstellung der be- 
treffenden Familie. Für den einzelnen erwächst 
die Mitgliedschaft in der hochadeligen Familie nur 
durch Geburt aus einer ebenbürtigen Ehe, nicht 
durch Legitimation oder Adoption. 
b) Sonderstellung. Der Hoch A. bildet 
auch heute noch einen einheitlichen Geburtsstand 
mit mancherlei Standesrechten auf dem Gebiete 
des öffentlichen und privaten Rechts. Die bundes- 
rechtliche Garantie der durch a 14 der Bundesakte 
begründeten Sonderstellung ist freilich 1866 in 
Wegfall gekommen. Gleichwohl besteht diese Son- 
derstellung tatsächlich fort und ist in manchen Be- 
ziehungen bis auf die neueste Zeit auch von reichs- 
wegen anerkannt worden (vgl. namentlich a 57 
und 58 des EG z. BGB). Sind einzelne Sonder- 
rechte wie der besondere Ehrentitel, die Be- 
freiung von der Militärpflicht und gewissen mili- 
tärischen Lasten, ein besonderer Anteil an der Bil- 
dung der ersten Kammer, wo solche vorhanden, 
auch allen Angehörigen des Hoch A. gemeinsam, 
so stellt sich im übrigen doch das Maß der Privile- 
gien auf dem Gebiete des öffentlichen und privaten 
Rechts für die verschiedenen Gruppen des Hoch A. 
(landesherrl. Häuser, Depossedierte und Mediati- 
sierte) zum guten Teile verschieden dar. Es kann 
deshalb in diesem Zusammenhang unter Verwei- 
sung auf jene Spezialartikel die Sonderstellung 
des Hoch A. nur soweit erörtert werden, als sie auf 
einer allen Gruppen gemeinsamen Grundlage 
ruht. Diese findet sich in der Tatsache, daß sich 
im Hoch A. sowohl der agnatische Sippeverband 
erhalten und zu körperschaftlicher Verfassung 
durchgebildet hat, als daß auch das Institut der 
Ebenbürtigkeit hier fortlebt. 
c) Die Hausverfassung. Neben der 
  
  
bürgerlichen Familie als dem Inbegriff der Bluts- 
verwandten steht der zum Hoch A. Gehörige in einer 
besonderen Körperschaft derjenigen ebenbürtigen 
Familienmitglieder, die seines Stammes und 
Namens. Wenn auch Töchter, Gemahlinnen und 
Witwen dem Hause als Schutzgenossinnen ange- 
hören und gewisse Familienrechte auf Dotation 
bezw. Alimentation genießen, so sind doch nur die 
Schwertmagen, d.h. die durch Männer verwandten 
Männer, innerhalb des Hauses vollberechtigt. 
Sind Spaltungen einer Familie in mehrere Linien 
oder Häuser mit eigenen Besitzungen eingetreten, 
so kann es eine Korporation des Gesamthauses und 
solche der Spezialhäuser geben. Die Verf der 
Rechtsgenossenschaft des hochadeligen Hauses be- 
ruht in erster Linie auf dem Hausrecht, das sich als 
Haus G oder Hausobservanz darstellen kann. Das 
Hausrecht wird ergänzt durch das sogen. ge- 
meine Privatfürstenrecht. Ueberall 
hat innerhalb der Genossenschaft das Familien- 
haupt, d. h. der Erstgeborene der ältesten noch 
blühenden Linie, als regierender Herr eine be- 
vorrechtigte Stellung; im Zweifel hat jedoch in 
wichtigeren Angelegenheiten nicht das Familien- 
haupt allein, sondern nur mit Beteiligung der 
gesamten volljährigen Agnaten die Gesamtperson 
zu vertreten, an die Stelle der Gesamtheit der 
Agnaten kann nach besonderem Hausrecht aber 
auch ein Familienrat treten. Eines solchen Zu- 
sammenwirkens bedarf es namentlich zur Aus- 
übung der dem Hause zustehenden Satzungsgewalt 
Il Autonomiesl. Das Familienhaupt übt 
weiter eine gewisse Familiengewalt über die ein- 
zelnen Mitglieder aus, wobei es nach besonderem 
Familienrechte zu gewissen Maßregeln der Zustim- 
mung eines Familienrates bedürfen kann. Im 
landesherrlichen Hause, das gleichzeitig eine Kor- 
poration des öffentlichen und des Privatrechts 
bildet, erscheint die Familiengewalt als Ausfluß 
der Staatsgewalt [Landesherrliches 
Hausl. Sie ist hier von öffentlich-rechtlichem 
Wesen und reicht regelmäßig weiter als beim übri- 
gen Hoch A., wo es zu allen disziplinaren Maß- 
regeln, die nicht bloß in Ermahnungen, Warnungen 
und Ratserteilungen bestehen, immer besonderer 
Normen gültiger Haus G oder doch einer besonderen 
Observanz bedürfen wird. Der Zweck der Fa- 
miliengewalt wie der ganzen genossenschaft- 
lichen Organisation der Familie ist die Behaup- 
tung der hervorragenden Stellung und des Glan- 
zes des hochadeligen Hauses. Das einzelne Mit- 
glied des hochadeligen Hauses hat als männlicher 
Geschlechtsgenosse eine unentziehbare Anwart- 
schaft auf Einrücken in die Stellung des Familien- 
hauptes, falls er bei der Erledigung nächstberech- 
tigt, kann aber aus dem Verbande durch freiwilli- 
gen einseitigen Verzicht ausscheiden. 
d) Güterrecht und Erbfolge. Wäh- 
rend ursprünglich selbst die Königsgeschlechter 
nach der lex ihres Stammes lebten, beginnt seit 
dem 14. Jahrhundert eine allgemeine Bewegung 
des Herrenstandes, die häuslichen Verhältnisse 
selbständig und im Gegensatz zur allgemeinen 
Rechtsentwicklung zu regeln. Die Autonomie der 
Familie wandelt das altdeutsche Stammgut zum 
Hausgut um, „ein satzungsgemäß zu einem ein- 
heitlichen Inbegriff zusammengefaßtes und ge- 
bundenes Sondervermögen“ (Gierke). Eigentü- 
mer des Hausvermögens ist das Haus als solches,
	        
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