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Enteignung
Allgemeinheit gelöst werden. Die Lösung ist aber
im Rechtsstaate nicht anders möglich, als in der
Form des Rechtes, d. h. auf gesetzlicher Grund-
lage. Dies kann auf zweierlei Art geschehen.
Entweder: es wird das Einzeleigentum der
öffentlichen Verwaltung zur Befriedigung ihrer
Bedürfnisse in der Weise unterworfen, daß die
Verwaltung kraft Gesetzes zu dessen Mitbenutzung
für bestimmte Zwecke ein für allemal ermächtigt
ist; das fremde Eigt ist dann allgemein zugunsten
der Verwaltung in bestimmter Richtung beschränkt
und steht ihr von Anfang an nur mit dieser Be-
schränkung gegenüber. Dies ist die Rechtsform
der gesetzlichen (öffentlichrechtlichen) Ei-
gentumsbeschränkung. Darunter fal-
len alle die Normen, welche im Interesse der All-
gemeinheit der freien Gebarung des Eigentümers
mit dem Eigt bald in dieser, bald in jener Be-
ziehung gewisse Schranken setzen (so insbeson-
dere die baurechtlichen Eigt Beschränkungen). Sie
bilden einen Teil der allgemeinen Rechtsordnung
selbst; denn sie bestimmen und begrenzen, gleich
den Vorschriften des Privatrechtes (insbesondere
des sog. Nachbarrechtes), den Inhalt jedes Eigt
dergestalt, daß erst aus beiden, dem öffentlichen
und dem Privatrechte, sich die Summe der aus
dem Eigt fließenden Befugnisse ergibt. Der Ein-
griff der Verwaltung ist in diesem Falle keine im
Gegensatze zur allgemeinen Rechtsordnung stehen-
de, sondern eine im Einklange mit dieser sich voll-
ziehende Maßregel; er enthält gegenüber dem
betroffenen Eigentümer keine Rechtsentziehung,
sondern nur eine Rechtsfeststellung. — Das Ge-
biet der gesetzlichen Eigt Beschränkung zugunsten
der öffentlichen Verwaltung ist bercits jetzt ein
sehr vielseitiges (s. O. Mayer 2, 178 ff). Diese
Rechtsform eignet sich aber nur für bestimmte
Gruppen von Fällen, bei denen sich die Art und
Weise der Inanspruchnahme des EinzelEigt für
die Zwecke der öffentlichen Verwaltung im Voraus
übersehen läßt und dem Bedürfnisse schon durch
Gewährung von Mitbenutzungs= oder: Unter-
sagungsrechten entsprochen werden kann. Sie
genügt nicht für die sehr verschiedenartig gestalte-
ten und zahlreich auftretenden Fälle, in denen
Privat Eigt zur Befriedigung öffentlicher Zwecke
entweder ganz entzogen oder in einer lediglich
dem gerade vorliegenden Bedürfnisse angepaßten
Weise beschränkt werden muß. Für solche Fälle
erhält die öffentliche Verwaltung die gesetzliche
Ermächtigung, für bestimmte Zwecke durch be-
sonderen Akt der Staatsgewalt Eigt zu entziehen
oder zu beschränken. Dies ist Enteignung.
Der rechtswissenschaftliche Begriff der E. hat
aber seine besondere Bégrenzung auch noch nach
anderer Seite hin erfahren. Nicht jeder Eingriff
der Staatsgewalt in den Rechtskreis der Einzel-
nen im Interesse der Allgemeinheit ist E. im
wissenschaftlichen Sinne, sondern dieses Rechts-
institut liegt nur vor, wenn es sich um staatliche
Entziehung oder Beschränkung von Privateigen-
tum oder eines andern dinglichen Rechtes (Nähe-
res in & 6) zur Durchführung eines
öffentlichen Unternehmens handelt.
Das öffentliche U. ist ein „abgegrenztes Stück der
öfsentlichen Verwaltung“ (O. Mayer 2, S l,
12, 263), welches — unmittelbar oder auch mittel-
bar — zur Verwirklichung eines Zweckes der
öffentlichen Verwaltung dient. Es steht „beherr-
schend im Mittelpunkt“ und ist maß= und richtung-
gebend für die Art und den Umfang der E.
Deshalb ist nicht Enteignung 1) die strafweise
Einziehung, Konfiskation einer Sache J Ein-
ziehungl, 2) die Entziehung einer gemeinschäd-
lichen Sache zum Zwecke ihrer Vernichtung (Tö-
tung seucheverdächtigen Viehes, Zerstörung von
Weinstöcken wegen Reblausgefahr), 3) die Aus-
übung von Zwangsbefugnissen, welche gewissen
Interessengemeinschaften, Genossenschaften, be-
hufs Regelung ihrer Privatangelegenheiten, ins-
besondere zur Durchführung von Grundstücks-
zusammenlegungen oder Gemeinheitsteilungen
verliehen sind, 4) die zwangsweise Grundentla-
stung, Servitutenablösung, 5) das Verbot ferne-
rer Benutzung einer gewerblichen Anlage nach
§51 der GewO. Denn in allen diesen Fällen
erfolgt die Aufhebung von Privateigentum oder
anderer Rechte, wenn auch zugunsten der allge-
meinen Wohlfahrt, doch nicht zum Zwecke der
Durchführung eines öffentlichen U. Ferner ist
nicht Enteignung im Rechtssinne die Aus-
übung des Staatsnotrechtes (ius erx-
tremae necessitatis), welches Platz greift,
wenn zur Abwendung dringender Not oder
drohender Gemeingefahr ein Eingriff in den
Rechtskreis des Einzelnen unabweislich geboten
erscheint (in Kriegsfällen, bei Feuersbrünsten,
Ueberschwemmungen, Hungersnot usw.). Dieses
Recht, welches früher häufig mit der E.
zusammengeworfen wurde, unterscheidet sich von
letzterer einmal dadurch, daß es immer nur der
Befriedigung eines augenblicklichen, dringenden
Bedürfnisses dient, dem regelmäßig schon durch
die tatsächliche Benutzung oder auch Vernichtung
einer Sache genügt wird, während es bei der E.
gilt, ein dauerndes Bedürfnis zu befriedigen und
zu diesem Zwecke dem Unternehmer der öffent-
lichen Anlage ein Recht an der fremden Sache zu
verschaffen; sodann aber dadurch, daß das Staats-
notrecht auch ohne gesetzliche Grundlage gegeben
ist und mit voller Rechtswirksamkeit ausgeübt
werden kann, während die E. durch das Gesetz für
erlaubt erklärt und in ihren Voraussetzungen,
Formen und Wirkungen geregelt sein muß.
5*#2. Geschichtliche Entwicklung des Enteig-
mungsrechtes. Einzelne Anwendungsfälle der E.
finden sich schon im römischen Rechte. Im An-
schluß hieran haben bereits die mittelalterlich-
italienischen Juristen eine Theorie der E. ent-
wickelt. Die spätere Wissenschaft hat namentlich
unter dem Einflusse von Hugo Grotius das
Institut rechtsphilosophisch zu begründen ver-
sucht. Praktische Anwendungsfälle der E. kom-
men im Mittelalter nur vereinzelt vor. Gegen
Ende desselben tritt das Institut der E. deutlich
erkennbar auf dem Gebiete des Bergbaues her-
vor; außerdem findet eine Abtretung von Grund
und Boden für Deichanlagen und zum Zwecke
des Straßenbaues statt. Bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts wurden jedoch nur vereinzelte ge-
setzliche Bestimmungen über den Gegenstand er-
lassen. Seit dieser Zeit fand das Institut der E.
eine grundsätzliche Regelung zuerst durch die
Zivilgesetzbücher, dann durch die Verfassungen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist die E. in einem
Umfange, der früher unbekannt war, zur An-
wendung gebracht worden. Dazu hat namentlich
der Eisenbahnbau Veranlassung gegeben. Aber